Verschlungene Wege: Roman (German Edition)
seinen Namen entdeckte.
Er strich mit dem Finger darüber und ließ seinen Blick über die im Raum verteilten Fotos schweifen. Träge nahm er eines davon in die Hand, auf dem der Doc und die Frau zu sehen waren, mit der er eine Ewigkeit verheiratet gewesen war. Es handelte sich um eine Aufnahme im Freien. Man sah eine Campingausrüstung sowie den Doc, der mehrere Fische hochhielt, während seine Frau in die Kamera grinste.
Ein nettes Paar, beschloss Brody. Sie wirkten glücklich. Doch wenn ihn sein Zeitgefühl nicht trog, mussten sie schon mehrere Jahrzehnte verheiratet gewesen sein, als dieses Foto entstanden war.
Er griff nach einem weiteren, einem Familienfoto. Der ganze Clan. Dann nach einem, welches das junge Paar mit einem Kleinkind zeigte. Verschiedene Fotos von Schulabschlussfeiern, Hochzeitsfotos, Großelternfotos.
Das erfüllte Leben eines Mannes und seiner Familie, dachte Brody. Wie sich so was wohl anfühlte?
Im Grunde hatte er gar nichts gegen das Heiraten, überlegte Brody, während er weiter auf und ab lief. Manche Leute fuhren gut damit. Wie Doc Wallace. Für ihn hatte es funktioniert, und auch für Brodys Eltern funktionierte es nach wie vor.
Aber es war so … endgültig, fand er. Der oder die ist es, und zwar für den Rest deines Lebens – nur die eine, außer man wollte durch die Scheidungshölle gehen.
Was, wenn man seine Meinung änderte? Was, wenn es schiefging? Was bei immerhin fünfzig Prozent aller Ehen der Fall war.
Und selbst wenn nicht, musste man sich unglaublich anpassen, sich Freiräume zugestehen, Kompromisse machen. Dann konnte man als Mann nicht mehr tun und lassen, was man wollte.
Was, wenn er beispielsweise nach Chicago zurückgehen wollte? Oder nach Madagaskar, verdammt? Nicht, dass er das vorgehabt hätte, aber nur für den Fall. Wenn man erst mal verheiratet war, konnte man nicht einfach nach Lust und Laune umziehen.
Man war kein richtiger Mann mehr, sondern ein Paar. Dann wurde man Vater und peng! – war man Familie. Und schon gab es kein Zurück mehr. Nix Löschtaste drücken und der Geschichte eine andere Wendung geben!
Außerdem war er wahrscheinlich sowieso nicht in sie verliebt, nicht mehr, als sie in ihn verliebt war. Es war eher so was wie … gegenseitige Anziehungskraft. Und das war etwas völlig anderes. Die konnte kommen und gehen.
Er drehte sich um, als der Doc hereinkam.
»Tut mir leid, in der letzten Viertelstunde war plötzlich unheimlich viel los. Danke, dass du gekommen bist, Brody.«
»Warum wolltest du mich sehen?«
»Am besten, wir gehen in die Küche. Ich mach uns ein kleines Mittagessen, während wir uns unterhalten. Natürlich nicht so was Ausgefallenes, was du sonst so bekommst«, fügte er hinzu, während er die Küche ansteuerte. »Aber man wird satt davon.«
»Ich bin nicht wählerisch.«
»Ich hab gehört, was gestern mit Reece los war.«
»Hast du schon mit ihr gesprochen?«
»Heute noch nicht.« Der Doc holte etwas Pute hervor und eine der Gewächshaustomaten, die Reece so hasste, einen halben Kopf Eisbergsalat und ein Glas mit eingelegten Gurken. »Ich hab mit Mac gesprochen. Er macht sich Sorgen um sie.« Er nahm einen angebrochenen Laib Vollkornbrot aus seinem Brotkasten. »Ich wollte wissen, wie du das siehst.«
»Warum?«
»Nur, um mir ein Bild zu machen. Ich darf dir nicht alles erzählen, was sie mir als Patientin anvertraut hat. Und du willst mir bestimmt auch nicht alles erzählen, was sie mit dir als ihrem … Freund besprochen hat. Trotzdem wollte ich fragen, ob sie dir irgendetwas erzählt hat, was du beunruhigend findest.«
»Sie hat mir erzählt, dass sie eines Abends in ihre Wohnung kam und alle ihre Sachen gepackt waren.« Brody nickte bekräftigend, als der Doc im Tomatenschneiden innehielt. »Und dass sie sich nicht daran erinnern kann, sie gepackt zu haben. Ich glaube nicht, dass sie die Sachen gepackt hat.«
»Wer soll es dann gewesen sein?«
»Dieselbe Person, die auch ihr Bad mit einem roten Filzstift vollgeschmiert, ihre Tabletten ausgeleert und ihre Sachen durcheinandergebracht hat. Und noch ein paar andere Sachen mehr.«
Der Doc ließ das Messer sinken. »Brody, wenn Reece Gedächtnislücken hat und Episoden, muss sie behandelt werden.«
»Das glaube ich aber nicht. Ich glaube, dass jemand ein Spielchen mit ihr spielt.«
»Wenn du sie in ihren Wahnvorstellungen bestätigst, machst du es nur noch schlimmer.«
»Das sind keine Wahnvorstellungen, das ist die Wahrheit. Warum hat sie diese
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