Verschlungene Wege: Roman (German Edition)
von Ihnen erlebte Trauma hat dieses Gesicht aus Ihrer Erinnerung gelöscht.«
»Ich glaube nicht, dass ich ihn gesehen habe«, sagte sie leise. »Das Ganze dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde. Die Türen schwangen auf, ich drehte mich um, ich sah die Pistole – und dann … Na ja, er hat sie benutzt.«
»Ich verstehe.« Er legte kurz ganz sanft die Hand auf ihre. »Soweit ich weiß, haben Sie auch die anderen Männer nie gesehen, die Ihre Freunde umgebracht haben.«
»Nein, keinen Einzigen.« Aber gehört habe ich sie, dachte sie. Ich habe sie lachen gehört.
»Haben Sie sich schon einmal überlegt, dass die Gestalt am Fenster letzte Nacht oder möglicherweise auch der Mann am Fluss eine Manifestation der Angst und Hilflosigkeit ist, die Sie während des Überfalls und danach empfunden haben?«
Ihr Magen zog sich schmerzhaft zusammen. Enttäuschung machte sie in ihr breit. Darüber, dass er ihr letztlich doch nicht glaubte. »Sie haben Psychologiebücher gelesen.«
»Ich gebe zu, dass ich welche gelesen habe. Aber nur, weil Sie Ihrer Angst ein Gesicht geben, sind Sie noch lange nicht verrückt, Reece. Es könnte ein Weg sein, sich das Ganze bewusst zu machen, um damit fertig zu werden.«
»Ich wünschte, es wäre so. Aber ich weiß, dass er mit seinen Händen eine Frau erdrosselt hat. Ich weiß, dass er mich beobachtet und alles tut, um meine geistige Gesundheit und meine Glaubwürdigkeit zu unterlaufen.« Sie lächelte schwach. »Man ist nicht paranoid, wenn man tatsächlich verfolgt wird.«
Der Doc seufzte.
»Ich weiß, wie es sich anfühlt, wirklich paranoid zu sein. Ich weiß, wie einem das die Kehle zuschnürt. Ich bin nicht paranoid, und ich habe auch keine Manifestation meiner Ängste entwickelt. Ich lebe in Angst.«
»Es gibt noch eine mögliche Erklärung, aber bitte lassen Sie mich zuerst ausreden. Als Sie den Mann zum ersten Mal gesehen und seine Gewalttat beobachtet haben, hatten Sie kurz vorher Brody auf dem Wanderweg getroffen. Die Vorfälle begannen sich zu häufen, als sich Ihre Beziehung zu Brody vertiefte. Je ernster die Beziehung wurde, desto gravierender wurden die Vorfälle. Kann es sein, dass Sie als Überlebende Schuldgefühle haben, die sich Ihrem Glück in den Weg stellen?«
»Das heißt, ich werde bewusst verrückt, um meine Beziehung zu Brody zu sabotieren? Nein, verdammt noch mal, ich war verrückt. Ich weiß, wie sich das anfühlt. Aber jetzt ist es anders.«
»Na gut, in Ordnung.« Er tätschelte ihre Hand. »Wir – wie heißt das noch gleich? – schließen das Naheliegende aus, und was übrig bleibt, so unwahrscheinlich es auch klingen mag, muss die Wahrheit sein. Wir werden ein wenig Blut abnehmen und sehen, wie es Ihnen geht.«
Reece kehrte zur zweiten Hälfte einer geteilten Schicht ins Joanie’s zurück. Mac Drubber und Carl machten sich über gewaltige Sandwiches mit gegrilltem Schweinefleisch her. Mac hob eine Hand, um sie zum Stehenbleiben zu veranlassen, während er noch kaute und schluckte. »Ich habe frischen Parmesan reinbekommen. Also, so Käse am Stück.«
»Ehrlich?«
»Ich dachte, Sie wollen vielleicht welchen. Er ist allerdings ziemlich teuer.«
»Ich komm später vorbei und hol ihn. Danke, Mr. Drubber.« Sie beugte sich spontan vor und küsste ihn auf den Scheitel. »Danke. Womit habe ich denn das verdient?«
»Ach, kommen Sie.« Seine Wangen waren leicht gerötet. »Wenn Sie sich was wünschen, was wir normalerweise nicht auf Lager haben, lassen Sie es mich einfach wissen. Das ist überhaupt kein Problem, ich kann Ihnen alles bestellen.«
»Gern. Danke noch mal.«
Bei der nächsten Gelegenheit, dachte Reece, würde sie etwas ganz besonders Fantastisches kochen und ihn zu Brody zum Essen einladen.
Sie kam gerade noch rechtzeitig in die Küche, um zu sehen, wie Linda-Gail einen Stapel dreckiger Teller neben Pete auf die Spüle knallte.
»Oje.«
»Wolken im Paradies«, flüsterte Pete.
»Hör auf, hinter meinem Rücken zu flüstern«, schnauzte ihn Linda-Gail an und wirbelte herum, sodass ihre Haare wie ein kleiner roter Helm um ihren Kopf flogen. »Ich bin schließlich nicht taub.«
»Aber arbeitslos, wenn du weiter so mit meinen Sachen umgehst.«
Linda-Gail drehte sich zu Joanie um. »Wenn dein Sohn nicht so ein Lügner und Betrüger wäre, würde ich auch nicht so mit deinen Sachen umgehen.«
Joanie briet ungerührt ihre Steaks und Zwiebeln weiter. »Mein Junge mag so einige Fehler haben. Aber so wie ich ihn kenne, ist er weder das
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