Verschlungene Wege: Roman (German Edition)
dieser neue Vorfall hat ihn in seiner Haltung nur noch bestätigt. Ich verschwende nur seine Zeit, störe ihn bei seiner Arbeit und habe mich von einer Verrückten zu einer echten Plage entwickelt. Und im Grunde kann ich ihm das nicht mal übel nehmen.«
»Aber warum denn nicht, verdammt noch mal?«
»Alles weist darauf hin, dass ich mir das Ganze bloß ausdenke oder schlichtweg übergeschnappt bin.« Sie gab das klein geschnittene Gemüse und einen Spritzer Weißwein hinzu und rüttelte erneut an der Pfanne. »Genauso wie alles darauf hinweist, dass du nur zu mir hältst, weil wir miteinander schlafen.«
»Glaubst du das auch?«
»Ich weiß, dass du mir glaubst, und das bedeutet alles für mich.«
Er nahm einen großen Schluck Bier. »Willst du hier weg? New Mexico soll auch sehr schön sein. Das Gute an unseren Berufen ist, dass wir sie ausüben können, wo wir wollen.«
Ihre Augen brannten, aber sie rührte weiter in ihrer Pfanne. »Weißt du was? Wenn du vor mir auf die Knie gefallen, mir einen Riesendiamantring, einen Hundewelpen und eine 50-Kilo-Schachtel belgischer Pralinen geschenkt, mir deine unsterbliche Liebe gestanden und Shelley rezitiert hättest, hättest du mir keine größere Freude machen können.«
»Gut, denn leider kann ich nichts von Shelley auswendig.«
»Und so groß die Versuchung auch sein mag«, fuhr sie fort, »weiß ich besser als irgendjemand sonst, dass Weglaufen gar nichts bringt. Es hat mir gefallen, die Blumen da draußen aufblühen zu sehen, zu wissen, dass sie das können. Wenn die hier Wurzeln schlagen können, dann kann ich das auch.«
Sie griff nach der Schale, in der sie die Sauce angerührt hatte, und goss sie über den Inhalt der Pfanne. »Das Essen ist in wenigen Minuten fertig. Würdest du schon mal die Teller rausholen?«
26
Reece saß im Behandlungszimmer von Doc Wallace und war dankbar, dass sie sich für die Kontrolluntersuchung nicht ausziehen musste. Sie fühlte sich schlapp, so wie früher, wenn sie zu viel gefeiert hatte.
Die Schlaftablette, dachte sie. Ein fairer Deal, zu dem Brody sie gedrängt hatte. Nicht, dass er sie groß dazu hätte drängen müssen.
Die Tablette hatte zwar Albträume verhindert, aber dafür war sie heute Morgen mit einem dicken Kopf aufgewacht. Trotzdem – es hatte sich gelohnt – dieses eine Mal zumindest. Sie hatte nicht vor, wieder regelmäßig Schlafmittel, Antidepressiva und Medikamente gegen die Angst zu nehmen.
Sie hatte keine Depressionen. Sie wurde gestalkt.
Die Tür ging auf. Der Doc schlenderte herein, er hatte eine Tabelle dabei und lächelte sie freundlich an.
»Gratuliere! Sie haben drei Kilo zugenommen. Das ist wirklich ein Fortschritt, junge Dame. Noch etwas mehr, und ich höre auf, Sie zu nerven.«
Sein Lächeln verebbte, als er um den Tisch herumlief und ihr Gesicht sah. »Oder vielleicht doch nicht. Beim letzten Mal sahen Sie blass und erschöpft aus. Aber heute auch wieder.«
»Ich hatte eine schlimme Nacht. Eine furchtbare Nacht. Irgendwann habe ich eine Schlaftablette genommen – eine von den nicht verschreibungspflichtigen. Aber selbst die hat mich ganz schön ausgeknockt.«
»Eine Angstattacke?« Er nahm ihr Kinn und drehte ihren Kopf, um den gelb schillernden Fleck auf ihrer Wange zu begutachten. »Albträume?«
»Ich habe die Tablette genommen, um Angstattacken und Albträume zu vermeiden. Ich habe gestern Nacht den Mörder gesehen.«
Der Doc schürzte die Lippen und musterte aufmerksam ihr Gesicht, während er sich auf seinen Stuhl gleiten ließ. »Erzählen Sie mir davon.«
Sie schilderte ihm, was passiert war, jedes Detail. »Sie müssen mir nicht glauben oder so tun, als glaubten Sie mir«, endete sie. »Die letzten Tage waren die reinste Katastrophe – kein Wunder, dass ich blass und erschöpft aussehe.«
»Tut das weh?«, fragte er, als er sanft auf ihren blauen Fleck drückte.
»Ein bisschen. Aber das ist nicht weiter schlimm.«
»Seit wann nehmen Sie Schlaftabletten?«
»Die gestern Nacht war die erste seit fast einem Jahr.«
»Haben Sie seit Ihrem letzten Besuch noch irgendwas anderes eingenommen?«
»Nein.«
»Irgendwelche anderen Symptome?«
»Sie meinen, so was wie Vergesslichkeit oder dass ich Dinge sehe, die nicht existieren? Nein.«
»Lassen Sie mich kurz des Teufels Advokat spielen. Kann es sein, dass dieser Mann, den Sie sehen, Ihre Ängste verkörpert? Sie haben das Gesicht des Mannes, der auf Sie geschossen hat, nicht gesehen. Nicht wirklich. Oder aber das
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