Verschlungene Wege: Roman (German Edition)
verteilten. Die Weiden bestanden aus hässlich verkrümmten Ästen, und die Pappeln zitterten. Schatten zogen über die schneebedeckten Gipfel hinweg, während sich Wolken zusammenballten und wieder teilten. Sie glaubte, ein schwaches Glitzern zu erkennen, das von einem Bergsee stammen konnte.
Der Ort mit seinen matschigen Straßen, den strahlend wei ßen Erkern und rustikalen Blockhäusern erstreckte sich unter ihr. Aus ihrer Warte fühlte sie sich wie ein Teil davon, sicher, aber doch distanziert.
»Hier könnte ich glücklich werden«, murmelte sie. »Hier könnte es mir gut gehen.«
Sie würde ein paar Anschaffungen machen müssen. Handtücher, Bettwäsche, Küchenzubehör, Putzmittel. Sie dachte an den Gehaltsscheck in ihrer Tasche, an das Trinkgeld, das sie zur Seite gelegt hatte. Fürs Nötigste dürfte es reichen. Es könnte Spaß machen. Zum ersten Mal seit einem Jahr würde sie wieder etwas für sich kaufen.
Ein großer Schritt, dachte sie, nur um sich gleich darauf wieder zu hinterfragen. Ein zu großer Schritt? Kam dieser Schritt zu schnell für sie? Eine Wohnung mieten, Bettwäsche kaufen. Was, wenn sie hier wegmusste? Was, wenn sie entlassen würde? Was, wenn …
»Meine Güte, was stell ich mich bloß an«, murmelte sie. »Was, wenn, was, wenn. Kommt Zeit, kommt Rat. Auf den Moment kommt es an. Und im Moment würde ich gern hier wohnen.«
Noch während sie das dachte, schoben sich die Wolken auseinander und ließen die Sonne durch.
Dieses Zeichen musste reichen. Sie würde es hier versuchen, solange es gut ging.
Sie hörte Schritte auf der Treppe und bekam es sofort mit der Angst zu tun. Mit der einen Hand griff sie in ihre Hosentasche und umklammerte den Handalarm, mit der anderen schnappte sie sich eine der Kitschlampen.
Als Joanie die Tür aufmachte, stellte Reece die Lampe wieder ab, so als hätte sie sie soeben betrachtet.
»Ein scheußliches Ding, aber es funktioniert«, sagte Joanie und beließ es dabei.
»Tut mir leid, ich bin länger geblieben, als ich dachte. Ich komm gleich runter.«
»Nur keine Eile. Es ist gerade recht ruhig, und Beck steht hinterm Grill. Solange nicht allzu Kompliziertes bestellt wird, kommt er zurecht. Willst du die Wohnung oder nicht?«
»Ja, wenn ich sie mir leisten kann. Sie haben nie gesagt, was Sie …«
Mit ihren kurzen Ärmeln, ihrer fleckigen Schürze und den dicken Turnschuhen lief Joanie kurz durchs Zimmer. Dann nannte sie einen Betrag, der etwas unter der Hotelmiete lag.
»Strom und Heizung inklusive – außer ich stelle fest, dass du’s übertreibst. Wenn du ein Telefon willst, musst du dich selbst darum kümmern. Dasselbe gilt für den Fall, dass du die Wände streichen willst. Ich will keinen Lärm hier oben während der Öffnungszeiten.«
»Ich bin ein ruhiger Typ. Ich würde gern wöchentlich zahlen. Ich leg mich nicht gern fest.«
»Das ist mir egal, solange die Miete pünktlich kommt. Wenn du willst, kannst du heute noch einziehen.«
»Morgen. Ich muss erst noch ein paar Dinge besorgen.«
»Ganz wie du willst. Die Einrichtung hier ist ja ziemlich spärlich.« Joanies Adleraugen sahen sich im Raum um. »Ich hab bestimmt noch ein paar Sachen, die ich dir überlassen kann. Wenn du jemanden zum Umziehen brauchst, werden dir Pete und Beck gern helfen.«
»Ich weiß das sehr zu schätzen. Wirklich.«
»Mit dem Bezahlen machen wir’s so, wie du’s gesagt hast. Deine Gehaltserhöhung steht kurz bevor.«
»Danke.«
»Du brauchst dich nicht für Sachen zu bedanken, die wir von vorneherein vereinbart haben. Du erledigst deinen Job und machst keinen Ärger. Du stellst nicht mal Fragen. Entweder, weil du gerade nicht da warst, als der liebe Gott jedem seine Portion Neugier mitgegeben hat, oder weil du selbst nicht gern Fragen gestellt bekommst.«
»Ist das eine Frage oder eine Feststellung?«
»Aber blöd bist du nicht.« Joanies Hand klopfte auf ihre Schürzentasche, wo sie stets eine Packung Zigaretten aufbewahrte. »Eines weiß ich genau: Du hast Probleme. Das sieht jeder, der Augen im Kopf hat. Ob du sie bewältigst oder nicht, geht mich nichts an. Hauptsache, sie beeinträchtigen deinen Job nicht, verstanden? Du kannst zupacken und bist die beste Köchin, die ich je hinter dem Grill stehen hatte. Und davon will ich profitieren. Ich hoffe nur, du haust nicht eines Abends ab und lässt mich sitzen. Ich mach mich nur ungern von anderen abhängig. Da wird man fast immer enttäuscht. Aber ich will was von dir. Dafür bekommst du
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