Verschlungene Wege: Roman (German Edition)
Briefumschlag, den sie in ihrem Matchbeutel aufbewahrte.
Irgendwann während des Tages oder Abends stellte ihr Joanie regelmäßig einen Teller Essen vor die Nase. Reece aß dann in einer Ecke der Küche, während das Fleisch auf dem Grill zischte, die Jukebox lief und Leute am Tresen saßen und tratschten.
Drei Tage nach dem Sturm teilte sie gerade Eintopf aus, als Lo in die Küche stolziert kam. Er zog eine richtige kleine Show ab, als er den Duft einsog. »Hier riecht aber etwas köstlich!«
»Tortilla-Suppe.« Sie hatte Joanie endlich überreden können, eines von ihren Rezepten kochen zu dürfen. »Und die schmeckt auch köstlich. Möchtest du eine Schale?«
»Ich meinte eigentlich dich, aber zu so einer Suppe sag ich auch nicht Nein.«
Sie reichte ihm die Schale, die sie gerade gefüllt hatte, und griff nach einer weiteren. Er stellte sich hinter sie und griff ebenfalls nach oben. Ein echter Klassiker, dachte Reece, genauso wie ihr instinktives Ausweichmanöver. »Ich hab sie schon. Deine Mutter ist hinten im Büro, falls du sie sprechen willst.«
»Ich schau kurz bei ihr vorbei, bevor ich wieder gehe. Ich bin eigentlich deinetwegen hier.«
»Ach ja?« Sie füllte die nächste Schale und streute ein wenig geriebenen Käse und frittierte Tortillastreifen darüber. Sie dachte wehmütig, wie viel besser die Suppe mit frischem Koriander schmecken würde, während sie alles mit einem Stück Baguette und zwei Portionen Butter auf einem Teller anrichtete. Sie wirbelte herum und stellte ihn in die Durchreiche. »Suppe ist fertig!«, rief sie und griff nach der nächsten Bestellung.
Vielleicht konnte sie Joanie überreden, Koriander anzuschaffen und ein paar weitere frische Kräuter. Etwas getrocknete Tomaten und Rucola. Wenn sie doch nur …
»Hey, wo willst du hin?«, fragte Lo. »Kann ich auch mitkommen?«
»Wie bitte? Entschuldige, hast du was gesagt?«
Er wirkte ein wenig verstimmt oder besser gesagt überrascht. Wahrscheinlich war er es nicht gewohnt, von einer Frau übersehen zu werden, dachte Reece. Aber er war der Sohn der Chefin, ermahnte sie sich und schickte sofort ein Lächeln hinterher. »Ich vergesse alles um mich herum, wenn ich koche.«
»Sieht ganz so aus. Trotzdem, heute ist es eigentlich verhältnismäßig ruhig.«
»Es reicht.« Sie holte die Zutaten für einen Bacon-Cheeseburger und ein Chicken-Sandwich hervor und blieb ständig in Bewegung, um die zwei bestellten Portionen Pommes fertig zu machen.
»Hmmmm, und ob das gut schmeckt!« Er aß noch mehr von der Suppe.
»Danke. Vergiss nicht, das auch der Chefin zu sagen.«
»Und ob ich das tun werde. Hey, Reece, ich hab mir den Schichtplan angesehen. Du hast heute Abend frei.«
»Hm-hm.« Sie nickte Pete zu, als der Tellerwäscher mit seinem Bantamgewicht aus seiner Pause zurückkam.
»Ich dachte, du hättest vielleicht Lust, ins Kino zu gehen.«
»Ich wusste gar nicht, dass es im Ort ein Kino gibt.«
»Gibt es auch nicht. Ich besitze die beste DVD-Sammlung von ganz West-Wyoming. Und mach auch gern eine Riesenschüssel Popcorn dazu.«
»Das kann ich mir denken.« Er ist der Sohn der Chefin, ermahnte sich Reece erneut. Versuch, ihm eine freundliche Abfuhr zu erteilen.
»Das ist wirklich nett von dir, Lo, aber ich muss heute Abend noch einiges erledigen. Möchtest du Baguette zu deiner Suppe?«
»Von mir aus.« Er rückte ein wenig näher, gerade so weit, dass er sie nicht hinter dem Grill einzwängte. »Weißt du, Süße, du brichst mir das Herz, wenn du mir ständig eine Abfuhr erteilst.«
»Das möchte ich doch stark bezweifeln.« Sie blieb locker, während sie die Grillbestellungen abarbeitete und ihm ein Baguette sowie einen Teller holte. »Besser, du kommst dem Grill hier nicht zu nahe«, warnte sie ihn. »Du bekommst sonst Fettspritzer ab.«
Doch anstatt den Teller, wie erhofft, mit hinaus ins Restaurant zu nehmen, lehnte er sich einfach gegen die Arbeitsfläche. »Ich hab ein sehr empfindliches Herz.«
»Dann solltest du lieber die Finger von mir lassen«, verkündete sie. »Ich trample nämlich nur darauf herum. Die Blutspur, die ich hinterlassen habe, reicht bis Boston. Es ist wie eine Sucht.«
»Vielleicht kann ich dich heilen?«
Sie musterte ihn kurz. Zu gut aussehend, zu selbstgefällig. Früher hätte es ihr vielleicht gefallen, von ihm begehrt zu werden, und unter Umständen wäre sie sogar schwach geworden. Aber jetzt hatte sie einfach keine Kraft mehr für solche Spielchen. »Willst du die Wahrheit
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