Verschlungene Wege: Roman (German Edition)
hinaus, um ihm den letzten Karton abzunehmen.
Aber er war schon wieder auf dem Rückmarsch.
»Von hier aus kann ich ihn selbst tragen.« Ein Windstoß blies ihr das Haar ins Gesicht. Sie strich es genervt zurück. »Danke.«
»Ich hab ihn schon. Was zum Teufel ist da drin? Ziegelsteine?«
»Das wird die gusseiserne Kasserolle sein und das Putzzeug. Ich kann ihn wirklich selbst nehmen.«
Er ignorierte sie einfach und lief die Treppe hoch. »Warum haben Sie abgeschlossen, wo wir doch gleich wieder zurückgehen?«
»Aus Gewohnheit.« Sie drehte den Schlüssel im Schloss, aber bevor sie zur Seite treten und den Karton entgegennehmen konnte, drückte er die Tür auf und brachte ihn selbst hinein.
»Tja, danke.« Sie stand neben der offenen Tür, wohl wissend, wie unhöflich das war, zumal jetzt auch noch kalte Luft hereinströmte. »Danke für Ihre Mühe.«
»Hm-hm.« Er sah sich um, die Hände in den Hosentaschen. Was für ein kleines, deprimierendes Loch, dachte er – von der Aussicht einmal abgesehen. Die Aussicht machte vieles wieder wett. Und es war sauber, dafür schien Joanie gesorgt zu haben. Auch wenn das Apartment lange leer gestanden hatte: Staub und Spinnweben waren in regelmäßigen Abständen entfernt worden.
»Die Wohnung könnte auch mal wieder einen neuen Anstrich vertragen«, sagte er.
»Wahrscheinlich haben Sie Recht.«
»Und heizen wär auch nicht schlecht. Sie frieren sich hier noch einen Ast, dünn wie Sie sind.«
»Bevor ich morgen einziehe, brauch ich die Heizung nicht aufzudrehen. Ich will Sie nicht aufhalten.«
Er drehte sich um und musterte sie. »Ihnen ist doch völlig egal, ob Sie mich aufhalten. Sie wollen mich hier schlicht und einfach raus haben.«
»Ganz genau. Auf Wiedersehen.«
Zum ersten Mal schenkte er ihr ein kurzes, aufrichtiges Lächeln. »Ich mag es, wenn Sie aufmüpfig werden. Und, was steht heute auf der Karte?«
»Backhuhn, Petersilienkartoffeln, Erbsen und Karotten.«
»Klingt gut.« Er schritt zur Tür und blieb direkt vor ihr stehen. Er spürte förmlich, wie sie erstarrte. »Man sieht sich.«
Kaum, dass er hinaus war, wurde die Tür zugemacht, und er hatte die erste Treppenstufe gerade genommen, als er auch schon den Schlüssel im Schloss hörte. Er ging um das Gebäude herum, und als er vor der Fassade stand, sah er kurz hoch, um seine Neugier zu befriedigen. Sie stand am mittleren Fenster und sah auf den See hinaus. Schlank wie eine Weide, dachte er, mit ihrem windzerzausten Haar und den dunklen, geheimnisvollen Augen. Sie wirkte wie ein gerahmtes Gemälde und weniger wie ein Mensch aus Fleisch und Blut. Er fragte sich, wo der Rest von ihr geblieben war. Und was sie zu diesem Schatten ihrer selbst gemacht hatte.
Das Tauwetter verhieß Matsch. Die Wege und Pfade wurden weich und rutschig, und die verdreckten Schuhe hinterließen Spuren auf dem Asphalt. Um Joanie nicht zu verärgern, streiften sich die Einheimischen den schlimmsten Dreck ab, bevor sie hereinkamen. Touristen, die schon bald die Parks, Campingplätze und Ferienhäuser bevölkern würden, waren noch rar. Aber ein paar kamen wegen des Sees und des Flusses. Paddelten mit ihren Kanus und Kajaks über das kalte Wasser und zwischen den Canyons hindurch, die von ihrem Echo widerhallten.
Angel’s Fist verschnaufte kurz zwischen den Besucheranstürmen in Winter und Sommer.
Kurz nach Sonnenaufgang, als der Himmel rosa aufflammte, bog Reece in eine der schmalen, holprigen Straßen auf der anderen Seeseite ein. Fast schon ein Trampelpfad und keine Straße, dachte sie, während sie das Steuer herumriss und ihre Fahrt verlangsamte, um einer Pfütze auszuweichen.
Als plötzlich ein Elch ihren Weg kreuzte, stieß sie nicht nur einen entzückten Schrei aus, sondern schickte auch gleich ein kleines Dankgebet zum Himmel, dafür, dass sie nur im Schritttempo unterwegs war.
Sie war bereit, auch ein paar Hosiannas zu singen, wenn sie sich bloß nicht verfahren hatte.
Sie sollte um sieben Uhr bei Joanie sein, und obwohl sie doppelt so viel Zeit wie nötig einkalkuliert hatte, befürchtete sie, zu spät zu kommen. Oder sich plötzlich auf dem Weg nach Utah wiederzufinden.
Da sie sich darauf gefreut hatte, den Vormittag mit Kuchenbacken zu verbringen, hatte sie kein Interesse daran, in Utah zu landen.
Sie kam an einer Gruppe Purpurweiden vorbei, die ihr Joanie beschrieben hatte. Zumindest hielt sie sie für Purpurweiden. Dann entdeckte sie einen Lichtschein.
»Nach den Purpurweiden hältst du dich
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