Verschlungene Wege: Roman (German Edition)
bewohnt waren.«
Übelkeit erfasste sie. »Sie müssen ja nicht in einem Ferienhaus gewohnt haben.«
»Nein. Aber irgendwie müssen sie ja an die von Ihnen beschriebene Stelle gekommen sein. Doch es gab keinerlei Spuren, keinerlei Anhaltspunkte dafür.«
»Ihr wart am falschen Ort.«
»Nein, waren wir nicht.«
Sie schlug die Arme um ihren Körper, aber es war nicht der kühle Frühlingswind, der sie frösteln ließ. »Das kann einfach nicht sein. Sie waren da. Sie haben gestritten, sind handgreiflich geworden, er hat sie umgebracht. Ich hab’s genau gesehen.«
»Das bezweifle ich ja auch gar nicht. Ich sage nur, dass es da draußen keinerlei Anhaltspunkte dafür gibt.«
»Er wird damit davonkommen. Er wird einfach weiterleben, als ob nichts geschehen wäre.« Reece ließ sich kraftlos auf die Treppe sinken. »Weil ich die Einzige bin, die ihn gesehen hat, aber ich habe nicht genug gesehen, konnte nichts tun.«
»Glauben Sie wirklich, alles dreht sich nur um Sie?«
Jetzt sah sie auf und schwankte zwischen Schock und Selbstmitleid. »Wie würden Sie sich jetzt an meiner Stelle fühlen? Wahrscheinlich würden Sie bloß die Achseln zucken. Na ja, ich hab getan, was ich tun konnte – am besten, ich trink ein Bier und leg mich in die Hängematte.«
»Für ein Bier ist es vielleicht noch ein bisschen zu früh. Der Sheriff wird die Vermisstenliste durchgehen. Er fährt zu dieser Ferienranch, klappert die Bed & Breakfasts ab sowie weitere, entlegenere Ferienwohnungen und Zeltplätze. Haben Sie vielleicht eine bessere Idee?«
»Es gehört nicht zu meinem Job, eine bessere Idee zu haben.«
»Zu meinem auch nicht.«
Sie erhob sich. »Warum hat er mir das nicht selbst gesagt? Weil er glaubt, dass ich gar nichts gesehen habe«, beantwortete sie ihre Frage, bevor er etwas sagen konnte. »Er glaubt, ich habe mir das alles bloß eingebildet.«
»Wenn Sie wissen wollen, was er denkt, müssen Sie ihn das schon selbst fragen. Ich kann nur sagen, was ich weiß.«
»Ich will selbst dort rausfahren, es mit eigenen Augen sehen.«
»Ganz wie Sie wollen.«
»Ich weiß nicht, wie man da hinkommt. Und auch wenn Sie der Letzte sind, den ich um einen gottverdammten Gefallen bitten möchte – Sie sind nun mal der Einzige, von dem ich mit Sicherheit weiß, dass er die Frau nicht umgebracht hat. Außer Sie haben die Gabe zu fliegen. Ich hab um drei frei. Sie können mich hier abholen.«
»Ach ja?«
»Ja, das können Sie. Und das werden Sie auch. Denn die Sache lässt Sie genauso wenig los wie mich.« Sie griff in ihre Hosentasche, zog einen verblichenen, zerknitterten Zehndollarschein hervor, den sie ihm in die Hand drückte.
»Hier, bitte schön. Das dürfte die Benzinkosten decken.«
Sie ließ ihn einfach stehen und lief davon, während er halb amüsiert, halb verärgert auf den Zehndollarschein starrte.
8
Reece stellte die Flamme höher, um die Suppe zum Kochen zu bringen. Und da sie ebenfalls vor Wut kochte, beschloss sie, gleich eine Einkaufsliste mit unverzichtbaren Lebensmitteln anzufertigen.
Egal, ob Fünf-Sterne-Restaurant, Kleinstadt-Diner oder Privathaushalt: Nahrung bleibt Nahrung, warum sollte man sie also nicht perfekt zubereiten?
Sie erledigte ein paar Bestellungen für Gäste, die aus ihr unerfindlichen Gründen schon vor zwölf Uhr dringend einen Büffelburger wollten. Zwischen den Bestellungen machte sie sich daran, die Küche zu schrubben. Sie begann mit dem Inneren der Schränke.
Sie kniete gerade auf dem Boden und wischte den Bereich unter der Spüle aus, als Linda-Gail neben ihr in die Hocke ging. »Hast du vor, uns hier alle schlecht dastehen zu lassen?«
»Nein. Ich beschäftige mich nur.«
»Wenn du hier fertig bist, kannst du gern zu mir nach Hause kommen und dich dort weiterbeschäftigen. Bist du wütend auf Joanie?«
»Nein. Ich bin wütend auf die ganze Welt. Auf diese beschissene, kaputte Welt.«
Linda-Gail sah sich kurz um und senkte die Stimme. »Hast du deine Tage?«
»Nein.«
»Ich frag ja nur, weil ich ein, zwei Tage im Monat ebenfalls eine Stinkwut auf diese beschissene, kaputte Welt bekomme. Kann ich irgendwas für dich tun?«
»Kannst du die letzten vierundzwanzig Stunden einfach ungeschehen machen?«
»Ich fürchte nein.« Sie gab Reece einen liebevollen Klaps auf den Po. »Aber ich hab Schokolade in meiner Handtasche.«
Reece seufzte laut auf und ließ ihren Putzlappen in den Eimer mit dem Seifenwasser fallen. »Was für eine Schokolade?«
»Die kleinen Täfelchen in
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