Verschlungene Wege: Roman (German Edition)
Großstadt.«
»Klar, denn Waffen gibt es hier ja keine.«
Ricks Kiefermuskeln spannten sich an. »Die Leute hier legen eben Wert auf ihr verfassungsmäßig verbrieftes Recht, Waffen zu tragen. Und sie respektieren die Verfassung, wenn ich das einem Großstädter gegenüber noch mal in Erinnerung rufen darf.«
»Du hast das Wörtchen ›scheißliberal‹ vergessen.«
»Ich wollte höflich sein.«
»Aber ja doch«, sagte Brody milde, »du rechtsextremer Irrer, du.«
Rick lachte donnernd. »Keine Ahnung, wie ich es schaffe, mit einem derart elitären Großstadtmenschen befreundet zu sein.« Er legte den Kopf schräg. »Komisch, dass du gar nichts davon gehört hast, Brody. So als Großstadt-Reporter …«
Brody dachte nach. Das Ganze war passiert, nachdem er die Zeitung verlassen hatte. Damals hatte er seine Wut erst einmal in der Sonne Arubas herausgeschwitzt. Er hatte so gut wie acht Wochen lang keine Zeitung gelesen und CNN boykottiert, rein aus Prinzip.
»Nachdem ich der Tribune den Rücken gekehrt hab, hab ich mir erst mal für ein paar Monate eine Auszeit gegönnt.«
»Und danach, nehme ich an, war das Medieninteresse bereits wieder verflogen. Es gibt schließlich immer wieder etwas Neues, mit dem man die Zuschauer bombardieren kann.«
»Laut Verfassung kommt das Recht auf Pressefreiheit vor dem Recht auf Waffenbesitz.«
»Leider kann ich da nur sagen, leider. Aber um wieder auf Reece zurückzukommen: Das ist ein ziemlicher Albtraum, den sie da erlebt hat. Und es wäre nicht verwunderlich, wenn sie sich noch nicht ganz davon erholt hätte.«
»Du meinst also, sie hat sich den Mord bloß eingebildet? Vergiss es, Rick.«
»Vielleicht ist sie ja eingeschlafen, für ein paar Minuten weggenickt und hat schlecht geträumt. Der Cop, der den Fall bearbeitet hat, meinte, sie sei anfällig für so was. Es ist ganz schön weit bis da oben für eine Anfängerin, und sie wird müde gewesen sein, als sie ihren Rastplatz erreicht hat. Vielleicht war ihr auch schwindelig. Laut Joanie isst das Mädchen kaum etwas, außer man setzt ihr einen Teller direkt vor die Nase. Darüber hinaus ist sie extrem ängstlich. Im Hotel hat sie die Kommode vor die Tür zum Nebenzimmer geschoben und sie während ihres gesamten Aufenthalts dort gelassen. Sie hat nie ausgepackt.«
»Sie mag übervorsichtig sein, aber verrückt ist sie nicht.«
»Moment mal, Brody, ich habe nie behauptet, dass sie verrückt ist. Aber ich halte es für wahrscheinlich, dass sie psychisch immer noch ein bisschen angeschlagen ist.« Er hob sofort entschuldigend die Hände. »Oder besser gesagt, ein bisschen labil ist. So seh ich das Ganze, denn viel mehr gibt es nun mal nicht zu sehen. Nicht, dass ich der Sache nicht weiter nachgehen werde, aber nach dem jetzigen Stand der Dinge habe ich nicht vor, die Bundesstaatspolizei einzuschalten. Für die gibt es hier nichts zu tun. Ich werde Nachforschungen anstellen, ob jemand vermisst wird, und sehen, ob die Beschreibung auf die Frau passt, die sie mir geschildert hat. Mehr kann ich nicht tun.«
»Und das willst du ihr genau so sagen? Dass du nicht mehr tun kannst?«
Rick nahm seinen Hut ab und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. »Siehst du, was ich hier sehe? Mit anderen Worten rein gar nichts? Wenn du noch Zeit hast, hätte ich gern, dass du mich zu den anderen Ferienhäusern begleitest, um sie zu kontrollieren.«
»Ich habe Zeit. Aber warum ich und nicht einer von deinen Leuten?«
»Du warst bei ihr.« Rick schob defensiv seinen Hut in den Nacken. »Wir werden dich als Nebenzeugen angeben.«
»Versuchst du hier gerade deinen Arsch zu retten, Rick?«
»Wenn du es so nennen willst«, sagte Rick ohne jeden Groll. »Hör zu, ich glaube, dass sie wirklich davon überzeugt ist, etwas gesehen zu haben. Aber es gibt keinerlei Beweise dafür. Meiner Meinung nach ist sie eingeschlafen und hatte einen Albtraum – ist doch durchaus möglich. Ich will es ihr wahrhaftig nicht noch schwerer machen, als sie es ohnehin schon hat, aber ich muss mich an die Fakten halten. Und Fakt ist, dass es hier keinerlei Anzeichen für ein Verbrechen gibt. Keinerlei Anzeichen dafür, dass hier überhaupt irgendjemand war, jedenfalls nicht innerhalb der letzten vierundzwanzig Stunden. Wir werden auf dem Rückweg noch einen kleinen Umweg machen und die anderen Ferienhäuser in der Gegend kontrollieren. Sobald wir auch nur das Geringste finden, werde ich sofort die Bundesstaatspolizei benachrichtigen und die Sache weiterverfolgen.
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