Verschlungene Wege: Roman (German Edition)
mehr hatte ausüben können.
Mit dem Rückweg zum Auto ließ sie sich bewusst Zeit, um das Ganze erst einmal zu verdauen.
Als sie den Gemischtwarenladen betrat, befestigte Mac gerade ein Werbeplakat mit Sonderangeboten an der Ladentheke, direkt gegenüber der Tür. Alles war genau so, wie sie es sich vorgestellt hatte. Hier gab es ein bisschen was von allem – Kühlboxen für Fleisch und Gemüse, Regale mit Lebensmitteln, eine Abteilung mit Werkzeug, Haushaltsgeräten, Angelbedarf, Munition.
Ein paar Liter Milch und eine Schachtel Kugeln gefällig? In diesem Fall war man hier goldrichtig.
Als Mac fertig war, näherte sie sich der Ladentheke.
»Jetzt dürfte Ihr Auto wieder funktionieren«, meinte Mac.
»Hab schon gehört, danke noch mal. Wie zahle ich?«
»Lynt hat eine Rechnung für Sie dagelassen. Wenn Sie den Betrag überweisen wollen, können Sie bei der Werkstatt vorbeifahren. Aber wenn Sie bar zahlen, können Sie das auch bei mir. Ich seh ihn nachher sowieso.«
»Bar ist gut.« Sie nahm die Rechnung und stellte erleichtert fest, dass der Betrag niedriger war als gedacht. Sie hörte, wie sich ein paar Leute weiter hinter im Laden unterhielten, und vernahm das Piepen einer weiteren Registrierkasse. »Ich habe einen Job.«
Er legte den Kopf schräg, während sie ihren Geldbeutel hervorzog. »Ach, ja? Das ging aber schnell!«
»Im Diner. Ich weiß nicht mal, wie es heißt«, fiel ihr plötzlich auf.
»Sie meinen sicher das Angel Food. Wir sagen einfach Joanie’s.«
»Im Joanie’s also. Ich hoffe, Sie kommen mal vorbei. Ich kann nämlich sehr gut kochen.«
»Das glaube ich Ihnen gern. Hier ist Ihr Wechselgeld.«
»Danke. Danke für alles. Ich werd mir jetzt ein Zimmer suchen und dann wieder zur Arbeit gehen.«
»Wenn Sie immer noch an dem Hotel interessiert sind, sagen Sie Brenda, der Empfangsdame, dass sie zur Monatsmiete wohnen wollen. Sagen Sie ihr, dass Sie im Joanie’s arbeiten.«
»Mach ich.« Sie hätte am liebsten eine Anzeige in der Regionalzeitung geschaltet: »Danke, Mr. Drubber.«
Das Hotel war ein fünfstöckiges, hellgelbes Gebäude mit Stuckverzierungen und Blick auf den See. Dazu gehörte ein kleiner Gemischtwarenladen, ein winziger Kaffee-und-Muffins-Stand sowie ein gemütlicher, mit Leinentischwäsche eingedeckter Speisesaal.
Sie erfuhr, dass es gegen eine geringe Tagesgebühr einen Internetanschluss gab, Zimmerservice von sieben bis dreiundzwanzig Uhr und einen Self-Service-Waschraum im Keller.
Reece handelte einen Wochentarif für ein Einzelzimmer im dritten Stock aus – eine Woche war mehr als ausreichend. Jedes Stockwerk, das tiefer lag, hätte ihr schlaflose Nächte bereitet, während sie sich bei einem Zimmer in den oberen Stockwerken wie in der Falle gefühlt hätte.
Jetzt, wo in ihrem Geldbeutel wirklich gähnende Leere herrschte, schleppte sie ihren Matchbeutel samt dem Laptop lieber die drei Stockwerke nach oben, als den Lift zu nehmen.
Die Aussicht war ihren Preis wert. Sie öffnete sofort die Fenster, stand einfach nur da und sah auf das glitzernde Wasser, die vorbeiziehenden Boote und die vor ihr aufragenden Berge, die diesen kleinen Teil des Tals einschlossen.
Genau das Richtige für heute, beschloss sie. Mal sehen, ob das für morgen auch noch galt. Sie wandte sich um und bemerkte die Tür, die ihr Zimmer mit dem Nachbarzimmer verband. Sie prüfte, ob sie verschlossen war, und zog, schob und zerrte die Kommode davor.
Danach ging es ihr entschieden besser.
Sie würde gar nicht groß auspacken, nur das Nötigste. Die Reisekerze, ein paar Toilettenartikel, das Handyaufladegerät. Da das Bad kaum größer als ein Schrank war, ließ sie beim Duschen die Tür auf. Während das Wasser lief, sagte sie das Einmaleins vor sich her, um sich zu beruhigen. Mit hastigen Bewegungen schlüpfte sie in ihre frische Kleidung.
Ein neuer Job, dachte sie und nahm sich ausgiebig Zeit, die Haare zu fönen und sich ein wenig zu schminken. Heute, fand sie, sah sie schon nicht mehr ganz so blass und hohlwangig aus.
Nach einem kurzen Blick auf die Uhr machte sie ihren Laptop an, öffnete ihren Tagebuchordner und schrieb einen neuen Eintrag.
Angel’s Fist, Wyoming
15. April
Ich habe gekocht. Seit heute arbeite ich als Köchin in einem kleinen Diner-Restaurant, hier in diesem hübschen Ferienort mit seinem großen, blauen See. In Gedanken lasse ich inmitten von Luftschlangen und Ballons die Champagnerkorken knallen.
Ich komme mir vor, als hätte ich einen Berg bezwungen.
Weitere Kostenlose Bücher