Verschlungene Wege: Roman (German Edition)
So als hätte ich die steilen Gipfel überwunden, die diesen Ort umgeben. Ich bin noch nicht ganz oben, sondern befinde mich auf einem Felsplateau. Doch das ist stabil und groß genug, um dort kurz zu verschnaufen, bevor ich mit meinem Aufstieg fortfahre.
Ich arbeite für eine Frau namens Joanie. Sie ist klein, robust und auf eine seltsame Art attraktiv. Sie ist taff, aber das ist gut so. Ich will nicht, dass man mich verhätschelt. Das würde mich ersticken, mir die Luft zum Atmen nehmen, wie beim Erwachen aus einem meiner Albträume. Hier bekomme ich endlich wieder Luft und kann bleiben, bis es Zeit wird, weiterzuziehen.
Ich besitze nicht mal mehr zehn Dollar, aber was soll’s.
Dafür habe ich mir für eine Woche ein Zimmer mit bester Aussicht auf den See und die Tetons gemietet. Ich habe einen Job und einen neuen Kühlerschlauch.
Das Mittagessen hab ich ausgelassen, und das ist in der Tat ein Rückschritt. Aber selbst das geht in Ordnung. Ich war viel zu sehr mit Kochen beschäftigt, um etwas zu essen, werd’s aber wieder gutmachen. Der 15. April ist ein guter Tag. Aber jetzt muss ich zur Arbeit.
Sie fuhr den Computer herunter, steckte ihr Handy, ihre Schlüssel, den Führerschein und die drei Dollar ein, die ihr noch geblieben waren. Dann schnappte sie sich ihre Jacke und hastete zur Tür.
Bevor sie sie öffnete, sah Reece durch den Spion und kontrollierte den leeren Flur. Sie überprüfte das Schloss zweimal, verfluchte sich und kontrollierte es noch ein drittes Mal, bevor sie zu ihrem Gepäck zurücklief und ein Stück Tesafilm holte. Sie klebte es über die Zimmertür, und zwar unterhalb des normalen Blickfelds, bevor sie auf die Treppe zumarschierte.
Im Laufschritt eilte sie hinunter und zählte dabei die Stufen. Sie überlegte kurz und ließ ihren Wagen stehen. Wenn sie zu Fuß ging, konnte sie Benzin sparen, obwohl es bereits dunkel sein würde, wenn ihre Schicht vorbei war.
Nur ein paar Blocks, mehr nicht. Trotzdem spielte sie nervös an ihrem Schlüsselbund mit dem Handalarm herum.
Vielleicht sollte sie doch noch mal umkehren und das Auto nehmen, für alle Fälle. Quatsch, redete sie sich ein. Sie war schließlich so gut wie da. Denk an jetzt und nicht an später. Als ihr die Nerven durchzugehen drohten, stellte sie sich vor, dass sie gleich am Grill stehen würde. Sie dachte an die grelle Küchenbeleuchtung, die Musik aus der Jukebox, das Stimmengewirr an den Tischen. An all die vertrauten Geräusche, Gerüche und Bewegungen.
Ihre Handflächen waren vielleicht ein wenig feucht, als sie die Tür zum Joanie’s aufstieß – trotzdem, sie hatte es geschafft und betrat das Lokal.
Da entdeckte sie auch schon dieselbe Kellnerin, mit der sie während der Mittagsschicht gesprochen hatte. Die winkte sie näher und sagte: »Joanie ist hinten im Vorratsraum und hat gesagt, ich soll dich kurz einweisen. Wir haben gerade eine kleine Verschnaufpause, bevor die ersten Gäste kommen. Ich heiße übrigens Linda-Gail.«
»Reece.«
»Vorab eine kleine Warnung: Joanie kann es nicht ausstehen, wenn man untätig herumsteht. Wenn sie dich dabei erwischt, wird sie zur Furie.« Sie grinste, sodass ihre blauen Augen funkelten und sie tiefe Grübchen in beiden Wangen bekam. Sie besaß glattes, weizenblondes Haar, das sie zu französischen Zöpfen geflochten hatte.
Sie trug Jeans, eine rote Bluse mit weißen Ziernähten und lange silber-türkise Ohrringe. Für Reece sah sie aus wie ein echtes Westerngirl.
»Ich arbeite gern.«
»Na, umso besser. Es ist Samstagabend, und da ist ganz schön was los hier. Heute sind noch zwei weitere Kellnerinnen da – Bebe und Juanita. Matt räumt die Tische ab, und Pete ist der Tellerwäscher. Du bist mit Joanie in der Küche – sie wird dich nicht aus den Augen lassen. Wenn du eine Pause brauchst, sagst du ihr Bescheid und nimmst sie. Im Hinterzimmer gibt es eine Garderobe für deinen Mantel und deine Handtasche. Keine Handtasche?«
»Nö, ich hab keine mitgenommen.«
»Meine Güte, ohne meine Handtasche könnte ich nicht einen Schritt vor die Tür machen. Komm mit, ich zeig dir alles. Die Formulare, die du ausfüllen musst, liegen im Hinterzimmer. Ich nehme an, du kennst die Arbeit – so wie du dich da heute Morgen reingestürzt hast.«
»Und ob.«
»Die Toiletten. Wir machen abwechselnd sauber. Bist du das Vergnügen hast, bleiben dir noch ein paar Wochen Zeit.«
»Ich kann’s kaum erwarten.«
Linda-Gail grinste. »Hast du Verwandte hier?«
»Nein. Ich komm von der
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