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Verschlungene Wege: Roman (German Edition)

Verschlungene Wege: Roman (German Edition)

Titel: Verschlungene Wege: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
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geworden. Ich habe eine Freundin in Angel’s Fist. Im Grunde mehr als eine, aber eine gute Freundin lässt sich so schnell nicht ersetzen.
     
     
    Irgendwann heute muss ich meine Sachen gepackt haben, aber ich kann mich nicht mehr daran erinnern. Vielleicht in meiner Pause, nachdem sich Pete verletzt hat. Vielleicht. Alles war voller Blut, und als ich das viele Blut gesehen habe, fühlte ich mich gleich wieder ins Maneo’s zurückversetzt. Und deshalb war es eine Minute lang Ginnys Blut und nicht das von Pete.
    Aber ich hab alles wieder eingeräumt. Morgen werde ich zu Doc Wallace gehen. Ich werde versuchen, ihm den Mann und die Frau, die ich am Fluss gesehen habe, so gut wie möglich zu beschreiben. Denn ich habe sie gesehen. Ich habe gesehen, was er ihr angetan hat.
     
     
    Ich bin heute nicht davongelaufen. Und ich werde auch morgen nicht davonlaufen.

13
     
    Doc Wallace stellte Tee und Kaffee auf den Tisch, beides in hübschen alten Steingutkannen, und außerdem einen blassgrünen Pressglasteller mit süßen Plätzchen. All das servierte er inmitten von gerahmten Familienfotos und akkurat angeordneten Zierkissen in seinem hübschen Wohnzimmer mit der Routiniertheit einer ältlichen Tante, die ihren wöchentlichen Literaturkreis empfängt.
    Wenn es seine Absicht gewesen war, Reece durch das gemütliche Ambiente zu beruhigen, war ihm das voll und ganz gelungen. Sie war eher gerührt als verängstigt, während sie vor dem heruntergebrannten Kaminfeuer saßen und es nach Gardenien-Potpourri duftete.
    Ihr erster Eindruck war der von Behaglichkeit und Gemütlichkeit – und ihr zweiter: Das war ein Mann, der eine gute Erziehung genossen hatte.
    Hier gab es keine toten Tierköpfe an den Wänden, keine Wagenräder-Kronleuchter und keine dicken Decken im Indianerstil. Obwohl sie wusste, dass er angelte, hing keine ausgestopfte Forelle über dem Kamin, sondern ein hübscher ovaler Spiegel in einem Kirschholzrahmen.
    Ihre Großmutter wäre entzückt gewesen.
    In der Tat hätte sich dieser Raum ebenso gut in einem Haus in Bostons Nob Hill befinden können, dachte sie und sagte es ihm auch.
    »Das war auch Susans Lieblingszimmer.« Der Doc reichte ihr den Tee, den er bereits eingeschenkt hatte. »Sie hat es geliebt, hier zu sitzen und zu lesen. Sie war eine leidenschaftliche Leserin. Ich hab alles so gelassen, wie sie es mochte.«
    Er lächelte kurz und reichte Brody seine Tasse Kaffee. »Ansonsten würde sie mich wahrscheinlich als Gespenst heimsuchen. Außerdem …« – er schwieg eine Weile, und der Ausdruck in seinen Augen hinter den dicken Brillengläsern war liebevoll und listig – »… kann ich mich hier am Ende eines langen Tages hinsetzen und alles noch mal mit ihr durchgehen. Manche mögen es seltsam finden, wenn ein Mann mit seiner toten Frau spricht. Doch für mich ist das einfach nur menschlich. Vieles, was andere seltsam finden, ist einfach nur menschlich.«
    »Dann bin ich auch nur ein Mensch. Ich weiß es sehr zu schätzen, dass Sie mir so entgegenkommen«, hob Reece an, »wirklich. Trotzdem weiß ich nur zu gut, dass ich ein brodelnder Neuroseneintopf mit diversen Phobieeinlagen bin, gewürzt mit einem großzügigen Schuss Paranoia.«
    »Schön, wenn man sich selbst richtig einschätzen kann«, warf Brody ein und biss in ein Plätzchen. »Die meisten Leute merken gar nicht, dass sie eine Macke haben, was für ihre Umgebung äußerst anstrengend sein kann.«
    Sie warf ihm einen kurzen Blick zu und konzentrierte sich dann wieder auf Doc Wallace. »Aber ich weiß auch, dass das, was ich am Fluss beobachtet habe, wirklich passiert ist. Das war kein Traum und auch keine Halluzination. Mein Gedächtnis hat mir keinen Streich gespielt, und meine Fantasie ist auch nicht mit mir durchgegangen. Egal, was der Sheriff denkt oder sonst alle denken: Ich weiß, was ich gesehen habe.«
    »Ärgern Sie sich nicht zu sehr über Rick«, sagte der Doc beschwichtigend. »Er macht einfach nur seinen Job, so gut er eben kann. Und er hat ihn bisher immer sehr gut gemacht.«
    »Das sagen hier alle«, murmelte Reece.
    »Trotzdem können wir ihm vielleicht ein bisschen helfen.«
    »Glauben Sie mir?«
    »Es spielt überhaupt keine Rolle, ob ich Ihnen glaube oder nicht. Andererseits habe ich keinen Grund, Ihnen nicht zu glauben. Meiner Einschätzung nach haben Sie sich bislang äußerst unauffällig verhalten.«
    Der Doc goss großzügig Kaffeesahne in seine Tasse. Er streckte die Beine, schlug die Knöchel übereinander und

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