Verschlungene Wege: Roman (German Edition)
zu wissen. Ich weiß selbst noch nicht, was das zwischen uns ist. Außer einer unglaublichen erotischen Anziehung.«
»Das ist ja schon mal nicht schlecht für den Anfang.«
»Ja, aber ich bin so was einfach nicht mehr gewöhnt.« Reece spielte gedankenverloren mit einer Strähne und musterte Linda-Gails Frisur. »Wo lässt du dir die Haare schneiden?«
»Wenn’s schnell gehen muss oder eher, wenn ich mal so richtig angeben will?«
»Ich such eher was zum Angeben.«
»Dann hab ich genau das Richtige für dich. Wir können Joanie überreden, uns nächste Woche gleichzeitig freizugeben und dann gehen wir dahin.«
»Gut, aber unter diesen Umständen sollte ich dir vielleicht sagen, dass ich beim letzten Friseurtermin Haken geschlagen habe wie ein Karnickel.«
»Kein Problem.« Linda-Gail leckte sich etwas von dem klebrig orangefarbenen Zeug vom Daumen und lächelte. »Ich werd dich festbinden.«
Als Reece grinste, kletterte einer der örtlichen Cowboys auf die kleine Bühne. Er war groß und schlank, trug Cowboystiefel und verwaschene Jeans. Der verwaschene Kreis, der sich an seiner Gesäßtasche abzeichnete, stammte, wie Reece gelernt hatte, von einer Dose Schnupftabak.
»Live-Unterhaltung?«, fragte Reece, als er nach dem Mikrofon griff.
»Kommt ganz darauf an, was du unter Unterhaltung verstehst. Karaoke.« Linda-Gail wies mit ihrem Glas auf die Bühne. »Jeden Abend im Clancy’s. Das da ist Reuben Gates, er arbeitet draußen auf der Circle-K-Ranch mit Lo.«
»Schwarzer Kaffee ohne Zucker und Milch, Spiegeleier auf Toast, Speck und Pommes, einer von den Sonntagsstammgästen.«
»Ganz genau. Er ist ziemlich gut.«
Er hatte einen tiefen, eingängigen Bariton und war offensichtlich sehr beliebt, da die Gäste pfiffen und klatschten, als er mit seiner Version von Ruby begann.
Während sie seinem Klagelied über eine treulose Frau lauschte, versuchte sie sich vorzustellen, wie er in einer schwarzen Jacke und einer orangeroten Jagdmütze am Ufer des Snake River stand.
Er konnte es durchaus gewesen sein, dachte sie. Er besaß kräftige Hände und wirkte unheimlich gelassen, so wie er dastand und sang.
Er konnte es sein; ein Mann, dem sie sonntagmorgens Eier und Kartoffeln briet. Es konnte jeder von den Männern sein, die hier um die Bar oder an den Tischen saßen. Jeder von ihnen konnte ein Killer sein. Wirklich jeder, dachte sie erneut, während es ihr die Kehle zuschnürte.
Die Musik schepperte vor sich hin und wurde von dem tiefen Bariton übertönt. Die Leute setzten ihre Gespräche fort, wenn auch mit gedämpfter Stimme, aus Respekt vor seiner Darbietung. Gläser klapperten auf Holz, Stühle kratzten über den Boden.
Plötzlich erfasste sie derartige Panik, dass sie kaum noch Luft bekam.
Sie sah Linda-Gails Gesicht, sah, wie sich die Lippen ihrer neuen Freundin bewegten, aber die Angst hatte Watte in ihre Ohren gestopft. Sie zwang sich, aus- und dann wieder einzuatmen. »Wie bitte? Entschuldige, ich hab einen Augenblick nicht zugehört …«
»Alles in Ordnung? Du bist ja ganz blass geworden. Tut dein Kopf weh?«
»Nein. Alles okay.« Reece zwang sich, erneut zur Bühne zu sehen. »Ich fürchte, mit größeren Menschenmengen habe ich immer noch Probleme.«
»Möchtest du gehen? Wir müssen nicht hierbleiben.«
Jedes Mal, wenn sie davonlief, war es wieder ein Rückschritt. Wieder ein Zurückweichen. »Nein, nein, es geht mir gut. Hm. Machst du da auch mit?«
Linda-Gail warf einen kurzen Blick auf die Bühne, wo Reuben sein Lied gerade beendet hatte und laut beklatscht wurde. »Klar. Willst du auch mal?«
»Nicht für eine Million Dollar. Na ja, sagen wir eine halbe Million.« Ein weiterer Mann betrat die Bühne, und da er bei einer Größe von 1 Meter 75 etwa hundertdreißig Kilo wog, konnte sie ihn von ihrer Liste streichen.
Er überraschte sie mit einem süßen, leicht zitternden Tenor, mit dem er eine Ballade zum Besten gab. »Den kenn ich nicht«, bemerkte Reece.
»T. B. Unger. Ein Highschool-Lehrer. T. B. als Abkürzung für Teddybär. Und da hinten sitzt seine Frau Arlene – die Brünette mit der weißen Bluse. Die beiden kommen nur selten ins Joanie’s, sondern bleiben meist zu Hause bei ihren zwei Kindern. Aber ins Clancy’s gehen sie einmal die Woche, damit er singen kann. Arlene arbeitet auch an der Schule, in der Cafeteria. Wirklich süß, die beiden.«
Im wahrsten Sinne des Wortes, dachte Reece, als sie sah, wie der Teddybär, direkt an seine Frau gewandt, ein Liebeslied
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