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Verschlungene Wege: Roman (German Edition)

Verschlungene Wege: Roman (German Edition)

Titel: Verschlungene Wege: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
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ganze Mann wirkte hart. Aber das habe ich von ihr auch behauptet, stimmt’s?« Sie rieb sich die Augen und versuchte sich zu konzentrieren. »Er blieb äußerst gefasst und wirkte sehr kontrolliert. Sie war wütend und keifte, aber er stand einfach nur da und bewegte sich kaum. Sammelte er seine Kräfte? Sie füllte alles aus, gestikulierte, lief auf und ab, zeigte mit dem Finger auf ihn. Er hat sie geschubst, aber eher so, wie man eine lästige Fliege verscheucht. Aber das ist jetzt meine Interpretation.«
    »Vielleicht, vielleicht aber auch nicht.« Der Doc kritzelte vor sich hin. »Wie war er gebaut?«
    »Alles an ihm kommt mir jetzt groß vor, aber sicher bin ich mir da nicht. Er war größer und kräftiger als sie, das mit Sicherheit. Als er sich schließlich rittlings auf sie gesetzt hat, hat er sehr genau gewusst, was er tut. Er hätte sie mühelos längere Zeit am Boden festhalten können, bis sich ihre Gegenwehr erschöpft hätte. Er hätte noch mal mit ihr reden und schließlich weggehen können. Vielleicht liegt das auch an der Entfernung, aber er wirkte unglaublich entschlossen, unglaublich kaltblütig.«
    Der Doc drehte erneut den Skizzenblock um und hielt ihn hoch. Reece fröstelte.
    Es war ein Ganzkörperporträt, der Mann wies ihr den Rücken zu und man sah nur sein Viertelprofil. Weil er so vielen Männern glich, bekam Reece Magenkrämpfe.
    »Ein Unbekannter«, murmelte sie.
    »Trotzdem reicht diese Zeichnung aus, um schon mal einige Leute aus Angel’s Fist definitiv auszuschließen«, sagte der Doc. »Pete zum Beispiel. Der ist zu klein. Oder Little Joe Pierce, der mindestens fünfzig Kilo zu viel mit sich herumschleppt, von seinem Bluthochdruck mal ganz abgesehen.«
    »Oder Carl – der hat eine Figur wie ein Fass. Falscher Körperbau.« Reeces Magen entspannte sich ein wenig. »Da hast du Recht. Ich glaube auch nicht, dass er jung war, also kein Teenie und auch niemand Anfang zwanzig. Sein Auftreten, seine … äh … Körpersprache wirkte wesentlich reifer. Danke. Jetzt habe ich schon wieder einen etwas klareren Kopf.«
    »Und ich war’s auch nicht.« Brody zog eine Schulter hoch. »Außer ich wäre Superman und über den Snake River geflogen.«
    »Nein.« Zum ersten Mal, seit sie sich getroffen hatten, lächelte Reece. »Du warst es nicht.«
    »Ich werde Kopien machen und eine davon in meiner Praxis aufhängen. Hier kommt so gut wie jeder vorbei.« Der Doc griff noch einmal nach der Zeichnung von der Frau.
    »Und ich werde ein paar Kopien zum Sheriff bringen.«
    »Danke vielmals.«
    »Wie gesagt, ich komme mir ein bisschen so vor, als würde ich Detektiv spielen. Mal eine nette Abwechslung. Brody, tu mir den Gefallen und trag dieses Tablett in die Küche, bitte.«
    Der Blick, den ihm der Doc dabei zuwarf, sagte Reece, dass jetzt der Arzt wieder die Oberhand gewonnen hatte und sie die Patientin war. Sie zwang sich, keinen Widerwillen gegen ihn zu empfinden, nicht nach dem Gefallen, den er ihr gerade getan hatte. Aber ihr Rücken versteifte sich, sobald Brody den Raum verlassen hatte.
    »Ich bin nicht hergekommen, um mich untersuchen zu lassen«, sagte sie.
    »Aber vielleicht sollten Sie. Ich bin nun mal ein alter Dorfarzt, und Sie sitzen in meinem Wohnzimmer. Ihre Augen sehen müde aus. Schlafen Sie gut?«
    »Es geht so. Manche Nächte sind besser als andere.«
    »Appetit?«
    »Mal so, mal so. Aber er ist besser, als er mal war. Ich weiß, dass meine körperliche Gesundheit eng mit meiner seelischen zusammenhängt. Ich kümmere mich um beides.«
    »Kopfschmerzen?«
    »Ja«, sagte sie und seufzte. »Nicht so oft wie früher und definitiv nicht so stark. Und ja, ich habe immer noch Panikattacken, aber auch die haben nachgelassen. Früher kamen sie vor allem in der Nacht, aber jetzt sind es nur noch Albträume. Ich habe immer noch Flashbacks und manchmal Phantomschmerzen. Aber es geht mir besser. Ich war sogar mit Linda-Gail im Clancy’s ein Bier trinken. Ich konnte zwei Jahre lang mit keiner Freundin mehr in eine Bar gehen. Ich war kurz davor, mit Brody intim zu werden. Ich war seit zwei Jahren mit keinem Mann mehr zusammen. Und immer, wenn ich einfach nur noch abhauen will, tue ich es nicht. Erst heute Morgen habe ich meine Tasche wieder ausgepackt und alles eingeräumt.«
    Seine Augen hinter den Brillengläsern musterten sie aufmerksam. »Sie haben Ihre Sachen gepackt?«
    »Ich …« Sie zögerte einen Moment. »Ja. Ich kann mich nicht daran erinnern, sie gepackt zu haben, und ich weiß, dass

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