Verschollen
Ich war in der Schule nicht besonders gut, hatte sogar Minderwertigkeitskomplexe, glaube ich, wurde gehänselt, hatte wenige Freunde und die Mädchen sahen mich nicht mal an. Aber hier, hier war ich jemand. Hier hatte ich Kraft und Ausdauer, wurde gebraucht, hier hatte ich Kameraden und wurde hoch angesehen. Schon bei diesem ersten Aufenthalt wusste ich, dass dies viel mehr meine Welt war als die Erde.
Aber mein Vater schickte mich dennoch zurück. Ich sollte die Schule beenden, man wisse ja nie, was komme, sagte er. Mit dem Ziel vor Augen, danach hierher zurückzukehren, war es einfacher in der Schule und so schaffte ich das Abitur und brach danach auf der Erde alle Zelte ab. Mein Vater war ohnehin die meiste Zeit hier und meine Mutter schon lange tot, keine Freunde, keine Geschwister, nichts hielt mich mehr auf der Erde.
Vielleicht wäre ich nie mehr zurückgekehrt, doch dein Großvater entschied irgendwann, dass er seine letzten Lebensjahre auf der Erde verbringen wollte. Er wollte nicht ewig leben wie einige andere, meinte, er habe genug gekämpft. Also ging er und einige Jahre später erreichte mich die Nachricht, dass er gestorben sei, und so kehrte ich zurück. Es gab vieles zu regeln, die Erde war mir fremd geworden und ich brauchte Hilfe. Dabei lernte ich deine Mutter kennen.« Er seufzte.
»Bis dahin war mir Nuareth immer so viel attraktiver vorgekommen und ich hatte geplant, hier eine Familie zu gründen. Doch die richtige Frau war mir noch nicht über den Weg gelaufen und dann kam deine Mutter. Sie gab mir Halt in der mir fremden Welt, als ich mich um so vieles kümmern musste. Großvater hatte dort das Unternehmen geführt, mit dem wir unsere Einnahmen aus Nuareth erklärten, nun musste ich das tun und hing erstmal eine Weile fest. Wir Paladine bringen immer wieder seltene Edelmetalle zurück zur Erde, die es hier im Überfluss gibt, musst du wissen. Davon finanzieren wir unser irdisches Dasein.
Deine Mutter und ich … nun, sie liebte mich sehr und ich war nicht sicher, wie es weitergehen sollte. Als sie mit Svenja schwanger wurde, heirateten wir und ich überlegte ernsthaft, Nuareth hinter mir zu lassen. Ich hätte nicht einmal zu arbeiten brauchen, denn da ich schon so lange ohne Unterbrechung in Nuareth gedient hatte, hätte mir ein lebenslanger Unterhalt zugestanden. Deine Mutter wusste von all dem und sie hoffte inständig, dass sie es schaffen würde, mich wieder auf der Erde zu verwurzeln.
Zuerst sah es auch so aus, als würde ihr das gelingen, aber dann kam es anders. Als du drei oder vier warst, gab es hier eine Krise. Alle Paladine wurden zurückgerufen, weil ein großer Krieg drohte, den wir zu verhindern suchten. Es kam zu einer Schlacht, einige Paladine starben, ich wurde schwer verwundet. Trotz Heilzaubern brauchte ich wochenlange Pflege. Eine junge Frau kümmerte sich im Haus der Paladine um mich und es kam, wie es kommen musste. Sie war die Frau, die ich immer gesucht hatte, Naima, selbst ein Paladjur und …«
Er brach ab und machte eine lange Pause.
»Als ich wieder gesund war, kehrte ich zurück zur Erde. Man hatte deine Mutter benachrichtigt, aber dennoch machte sie mir Vorwürfe. Viel schlimmer war jedoch, dass ich mich nun immer nach Nuareth sehnte. Wann immer ich konnte, ging ich zurück, nicht nur um Naima zu sehen, Nuareth war einfach meine Welt. Als mich dann Johann auch noch zu seinem Stellvertreter ernannte, war ich wieder viel mehr hier als auf der Erde, reiste umher, auch als Naima unserer Tochter das Leben schenkte und ihr eigenes dabei gab.« Er hielt kurz inne und schüttelte traurig den Kopf. »Deine Mutter und ich lebten uns immer mehr auseinander und es kam zum Streit, weil sie auf keinen Fall wollte, dass du oder Svenja jemals hierher kämt. Sie hatte Angst, euch auch noch an Nuareth zu verlieren. Dass sie mich verloren hat, hat sie mittlerweile eingesehen, glaube ich.«
Zum ersten Mal während seines langen Monologes sah er Tristan an. »Es tut mir leid, Tristan. Ich hätte dir ein besserer Vater sein sollen und Svenja auch. Aber ich konnte mich nie von Nuareth losreißen. Ich würde dir gern versprechen, dass in Zukunft alles besser wird. Aber jetzt … Vielleicht, eines Tages, wirst du mich verstehen.« Er nahm seinen Arm von Tristans Schulter, als erwarte er, dass sein Sohn sich abwenden und ihn stehen lassen würde.
»Ja, vielleicht«, murmelte Tristan und fragte sich, was er tun würde, wenn das hier vorbei war. Konnte er so einfach zur Erde
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