Verschollen
nicht zu sehen, weil hinter dem Vulkan verborgen – trafen sie sich in der Scheune mit den anderen Jugendlichen, die von Keldra unterrichtet wurden. Eine Scheune war es jedoch wirklich nur noch rein äußerlich, wie Tiana gesagt hatte. Innen hatte man eine Holzwand eingezogen. Auf der einen Seite lag der Unterrichtsraum, mit einigen Strohballen als Sitzgelegenheit für die Schüler, auf der rechten Seite war die Waffenkammer. Sie erinnerte Tristan ein wenig an die im Büro seines Vaters, nur dass hier noch mehr von allem zur Verfügung stand.
Keldra ließ auf sich warten und so nutzte Tiana die Gelegenheit, Tristan ihre Mitschüler vorzustellen. Neben Vinjala waren es fünf weitere. Stephane, Raphael und Julien waren Brüder und alle direkte Nachkommen eines jungen Paladins namens Pierre, der zu denen gehörte, die mit Jessica ausgezogen waren, um die anderen Paladine zu suchen. Sie begegneten Tristan gar nicht so befangen, wie Tiana gemeint hatte, und erzählten freimütig, dass ihr Vater der persönliche Adjutant von Meister Johann sei. Sie waren dunkelhäutig und recht jung. Julien war eben erst zehn geworden und hatte erst vor Kurzem mit dem Unterricht begonnen, Raphael war zwölf und Stephane fünfzehn.
Majari war ein elfjähriges Mädchen, das es kaum wagte, Tristan anzusehen, als Tiana ihn ihr vorstellte. Und auch Voruk, ein groß gewachsener Achtzehnjähriger, brummte nur einen Gruß und wandte sich gleich wieder ab, aber er sei generell recht einsilbig, erklärte Tiana flüsternd.
Tristan blickte unauffällig auf die Unterarme der anderen und sah deutliche Unterschiede, was die Anzahl der Male anging. Die Brüder hatten recht viele, wiesen aber – jeder an anderen Stellen – Lücken auf. Vinjala und Tiana hatten deutlich weniger, Voruk sogar nur etwas mehr als ein Dutzend Male, Majari hielt ihre Arme bedeckt. Ehe Tristan dazu eine Frage an Tiana richten konnte, kam Keldra herein. Sie war ziemlich außer Atem und wedelte nur mit der Hand in Richtung der Strohballen, auf denen die Schüler Platz nahmen.
»Hallo, Kinder«, grüßte sie und blickte in die Runde. Sie stockte kurz, als sie Tristan erkannte, nickte ihm dann knapp zu und fuhr fort: »Heute wollen wir die Selbstheilzauber üben.« Tiana stöhnte leise neben Tristan. »Ja, ich weiß, viele von euch beherrschen sie schon sehr gut, aber für Julien und Majari ist es etwas ganz Neues.« Sie blickte Tristan an, während sie das sagte, erwähnte seine Unwissenheit jedoch nicht.
Keldra trat an die Holzwand und zog einen Vorhang beiseite. Dahinter kam ein kunstvolles Gemälde von Armen zum Vorschein, je zwei linke und zwei rechte, einmal von oben und einmal von unten betrachtet. Sie waren alle voller Zaubermale und ein kurzer Blick auf seine eigenen zeigte Tristan, dass sie fast haargenau so aussahen und auch an denselben Stellen angeordnet waren, soweit er das auf einen schnellen Blick hin zu erkennen vermochte.
Keldra griff zu einem Stock, der an der Wand lehnte, und deutete damit auf ein Stärkemal. »Tiana?«
»Cha, das mittlere Mal der Stärke«, antwortete diese prompt.
Keldra nickte und deutete auf ein kleineres. »Stephane?«
»Zu, Basismal für Licht- und Feuerzauber«, kam die Antwort wie aus der Pistole geschossen.
»Richtig«, Keldra wählte ein weiteres aus. »Majari?«
Das Mädchen zögerte. »Be, für Heil und …« Sie brach ab, da Keldra schon den Kopf schüttelte.
»Ja, Vinjala?«
»Nu, Richtungsmal für den eigenen Körper.«
»Genau«, beendete Keldra die Abfrage, trat vor und kreiste mit dem Stock vier Male am rechten Unterarm ein. »Das sind die vier Basismale für Heilzauber, mit denen wir uns heute befassen«, erklärte sie und tippte sie dann nacheinander an. »Jun, für Wunden und Blutungen, Ker für Knochen, Xi für Vergiftungen und Krankheiten und Lup, das Basismal für Geist und Gefühle.«
Das letzte der Male kam Tristan bekannt vor. In Gedanken ging er noch einmal die wenigen Zauber-Kombinationen durch, die er kannte, und ja, es gehörte zu dem Lähmzauber, den Martin ihm gezeigt hatte.
»Die Heilzauber funktionieren wie die meisten anderen Zauber auch«, fuhr Keldra fort und blickte Tristan dabei an, der begriff, dass sie das hauptsächlich für ihn erläuterte. »Das Basismal bildet den Kern des Zaubers, ein Zusatzmal macht ihn genauer und ein Richtungsmal legt fest, ob wir den Zauber an uns selbst, an allen in unserer Umgebung oder gezielt an einer entfernten Stelle, auf die wir zeigen,
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