Verschollen
ausführen.
Raphael, wenn ich etwas Vergiftetes gegessen habe und du mich von dort, wo du nun sitzt, heilen möchtest, welche Möglichkeiten hättest du dann?«
Raphael überlegte kurz. »Xi-Go«, antwortete er dann zögernd.
»Richtig.« Keldra nickte und zeigte die beiden Male auf dem Bild. »Aber dann würdest du jegliche Vergiftung oder Krankheit in meinem ganzen Körper zu heilen versuchen, das würde dich entweder sehr viel Kraft kosten, oder kaum einen Effekt haben. Wenn du aber recht sicher bist, dass es mit meinem Bauch zu tun hat …?«
Raphaels Miene hellte sich auf. »Xi-Hun-Go«
»Stimmt.« Keldra lächelte und zeigte das Mal Hun, das sich am linken Ellenbogen befand. Anschließend machte sie den Zauber vor, tippte erst das kleinste Stärkemal, dann nacheinander die drei Male und zeigte dann auf Tristan. Ein schmaler Strahl schoss auf ihn zu und traf ihn in die Brust. Kurz zuckte er zusammen, aber dann spürte er, wie sich wohlige Wärme in seiner Magengegend ausbreitete. »Ihr seht, wohin der Zauberstrahl dann trifft, ist nicht so wichtig, es gilt nur wie bei allen Zaubern: An Kopf oder Rumpf wirken sie besser als an Armen oder Beinen.«
Im weiteren Verlauf kamen sie dann auf die Selbstheilung zu sprechen. Keldra betonte mehrfach, wie wichtig es sei, gerade bei der Selbstheilung durch Zusatzmale möglichst genau und mit dem richtigen Stärkemal an die eigenen Verletzungen heranzugehen, um den durch die Verletzung schon geschwächten Körper mit dem Zauber nicht vollends zu entkräften. Dann ließ sie die Schüler eine Weile üben und kümmerte sich dabei vor allem um Julien und Majari, die beiden jüngsten. Tristan übte mit Tiana, die den Zauber wirklich schnell ausführen und die Male auf ihren Armen ohne hinzusehen antippen konnte.
Die Stunde endete recht abrupt, als eine andere Frau hereinkam und Keldra zu sich rief. »Meister Johann verlangt nach mir«, erklärte Keldra kurz darauf. »Bitte wartet hier, ich hoffe ich komme schnell zurück, sonst schicke ich euch Ilgar und Katmar.«
Während die anderen Schüler – außer Voruk, der sich abseits hielt – beieinander standen und sich unterhielten, trat Tristan zu dem Bild vor und studierte die Male. Er zählte dreiundfünfzig verschiedene und verglich sie mit denen auf seinen Armen. Zweiundfünfzig davon hatte er auch, tatsächlich fehlte nur eines am Handgelenk. Er sah auf, als er spürte, dass jemand neben ihn trat. Es war Tiana. »Haben alle Paladine genau die gleichen Male?«
Sie nickte. »Ja, alle die durch das Portal kommen, haben genau diese.«
»Und das eine dort?«
»Das nennt man ‚Das Mal des Meisters‘. Es ist das einzige Mal, dass nicht bei Paladinen, sondern nur bei ihren Kindern auftaucht, aber auch bei denen nur sehr, sehr selten. Keldra hat uns erklärt, nur ein Paladjur unter hundert hat es und derzeit weiß man von keinem.«
»Und warum heißt es so?«
»Die, die es hatten, waren außergewöhnliche Zauberer, sogar euch Paladinen überlegen. Man sagt, sie konnten die Male benutzen, ohne sie zu berühren.«
»Aha.« Tristan ließ den Blick über die Male schweifen. »Und ihr kennt von allen den Namen und die Bedeutung, obwohl ihr viele gar nicht selbst habt?«
Sie lachte. »Keldra fragt uns jeden Tag ab und das ist wichtig. Die Namen der Zauber kann man sich viel leichter merken, als die Reihenfolge der Male so im Kopf zu behalten.«
Tristan dachte an die versehentlich ausgelöste Schockwelle und nickte. »Das stimmt wohl.«
Martin kam herein und räusperte sich vernehmlich, um die Aufmerksamkeit der Schüler auf sich zu lenken. »Keldra braucht leider länger und Ilgar und Katmar sind auch nicht abkömmlich. Ihr sollt deshalb eure täglichen Arbeiten verrichten und am späten Nachmittag noch einmal zum Unterricht kommen«, verkündete er und trat dann zu Tristan und Tiana, während die anderen schon die Scheune verließen. »Ich wollte runter nach Nephara und mich ein bisschen umsehen. Kommt ihr mit?«
»Gern«, antwortete Tristan direkt. »Was ist mit dir?«
Tiana seufzte. »Ich würde gern, aber ich habe heute Küchendienst. Wir sehen uns heute Nachmittag oder beim Mittagsmahl.«
Tristan nickte ein wenig enttäuscht und ging dann mit Martin zu den Ställen, um ihre Nobos zu holen. Dabei sah er noch einmal zum Haupthaus und bemerkte, dass Tiana ihn mit seltsam düsterer Miene anstarrte, sich aber hastig abwandte, als er sie anblickte. Ob ich wohl etwas Falsches gesagt habe, überlegte Tristan, doch da kam
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