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Verschollen im Taunus

Verschollen im Taunus

Titel: Verschollen im Taunus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Demant
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tänzelnden Sternchen zu nerven aufhörten, dann inspizierte er seine Umgebung. Er brauchte dringend einen starken Ast, auf den er sich stützen konnte, doch alles, was er sah, war entweder viel zu dick, und damit zu schwer, oder aber zu zerbrechlich, um sein Gewicht auszuhalten. Seine Gedanken fingen an, sich im Kreis zu drehen. Allmählich, und ohne daß es ihm groß bewußt wurde, glitt Herr Schweitzer in einen transzendenten Wahrnehmungsbereich hinüber. Hätte er seine Stirn betastet, hätte er sich verbrannt. Die Natur veränderte ihre Farben. Baumstämme leuchteten lila, Blätter zitronengelb und das kleine Kätzchen schaute ihn aus bernsteinfarbenen Augen an. Unter normalen Umständen, das heißt, läge Herr Schweitzer gerade in seinem kuscheligen Bett in seiner Sachsenhäuser Wohnung, würde er mit Sicherheit wollüstig stöhnen und von sich geben, das Dope sei aber von astreiner Qualität, er müsse sich umgehend noch mehr davon besorgen, bevor sein Dealer, der Dönerbudenbetreiber Giorgio-Abdul, das Zeug an Konsumenten verhökerte, die besagte astreine Qualität gar nicht zu würdigen wissen. Natürlich läge auch eine Chips-Tüte auf seinem Bauch. Doch hic et nunc war es kein zuckersüßer Flash, sondern der helle und reine Wahnsinn, der Herrn Schweitzer taumeln ließ.
    Endlose Minuten vergingen, in denen er sich nicht entscheiden konnte, einfach umzukippen oder letzte Energiereserven zu mobilisieren. Er war nicht der erste Mensch, der sich in eine dergestalt grenzwertige Situation manövriert hatte. Ob gewollt oder ungewollt, spielte keine Rolle. Jene, die den Grenzwert übertreten hatten, konnten nichts mehr darüber berichten. Jene jedoch, die knapp darunter geblieben waren, gaben die unterschiedlichsten Versionen aus der Todeszone von sich. Letztlich war es wohl eine Charakterfrage, wie die Darstellung ausfiel. Einige wußten rein gar nix mehr, andere konnte ihr Martyrium bis ins kleinste Detail schildern. Wie dem auch sei, Herrn Schweitzer war es nicht gegeben, es sich auszusuchen. Nur auf eins konnte er noch Einfluß nehmen, es war quasi die letzte Amtshandlung des denkenden Detektivs, ehe es auf Autopilot weiterging: Bevor er nach vorne kippte, beschwor er das Bild seiner Freundin Maria herauf. So lange, bis es sich eingebrannt hatte und nie wieder gelöscht werden konnte. Auch von den Priestern des Todes nicht. Gegebenenfalls sollte es eben für die Ewigkeit sein.
    Ohne Krücken blieb ihm als Fortbewegungsart nur das Kriechen. Viele Tierarten wie Schlangen und Schnecken hatten es seit Jahrmillionen geübt, Herr Schweitzer war erst seit einigen Minuten dabei, und doch stellte sich das erste Erfolgserlebnis schon nach kurzer Zeit ein. Er stieß nämlich auf Reifenspuren und einen Kühlschrank. Letzterer war leer und von einem Umweltsünder hier abgeladen worden. Auf seiner jetzigen Bewußtseinsebene spielten Kühlschränke, ob voll, ob leer, keine Rolle mehr. Reifenspuren jedoch zeigten den Pfad zum Lichte empor. Auf Rädern würde er Maria entgegenrollen. Er brauchte ihnen nur zu folgen. Die Zuschauer und Gladiatoren im römischen Kolosseum würden ihn nach seiner triumphalen Einfahrt mit Applaus und Vivat-Rufen überschütten. Caesar blieb gar nichts anderes übrig, als ihm ein paar Hektar Ackerland am Limes, seiner Heimat, zu übereignen. Herr Schweitzer würde Hasen und Rehe jagen, während Maria ein paar Scheite in den Ofen legte. Maria, oh Maria, ich komme.
    Lisa und Karl Müller waren, wie man im Hessischen zu sagen pflegt, ein Kopp und ein Arsch. Mehr als fünf Jahrzehnte Ehe waren die Ursache hierfür. Wagte sich der eine zu weit aus dem Fenster, wurde er vom anderen ob seines Übermuts zurückgepfiffen. Oder umgekehrt. Alles in allem war ihr Handeln stets von Ausgewogenheit geprägt. Eskapaden oder andere Auffälligkeiten spielten sich stets und ausschließlich bei den lieben Nachbarn ab.
    Lisa, in Schürze und den Sonntagskuchen vorbereitend: „Karl!“
    „Ja, mein Lieschen.“
    „Du Karl, ich weiß nicht …“
    „Ja, Lieschen, ich weiß, was du meinst. Mir geht die Sach’ auch durch’n Kopp. Meinst du, wir sollten zur Polizei gehen?“
    „Vielleicht nicht gleich zur Polizei, wir könnten uns lächerlich machen. Aber …“
    „Du meinst, wir sollten noch mal zurückfahren. Kann ja sein, daß es doch kein Irrer war.“ Herr Müller legte die Zeitung beiseite, stand auf und spannte die Hosenträger. „Bleib du hier. Ich nehme Gisbert mit.“
    Gisbert war ihr Sohn, der zeitlebens

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