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Verschollen im Taunus

Verschollen im Taunus

Titel: Verschollen im Taunus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Demant
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sollte ihm als beschaulicher Altersruhesitz dienen. Immer nur mit Knarren dealen ist auf Dauer dem Kreislauf nicht dienlich; seit langem machte sein Herz schon ernstzunehmende Andeutungen in diese Richtung. Dieser Handel konnte sein Meisterstück werden. „Ist klar, Tac-50 ist nicht billig.“
    Sergej gelangweilt: „Das mach mit dem Chef aus. Wo bleibt der eigentlich?“
    Alexander Michailovitschs Taxi steckte im Stau auf der Mainzer Landstraße. Er rief Sergej an, daß es ein bißchen später werde.
    Wenn man denkt, es sei endlich geschafft, kommt mit Sicherheit etwas dazwischen. Herr Schweitzer stand vor dem steilen Hang, an dessen oberen Ende er die Leitplanke sah. Damit nicht genug, in unregelmäßigen Abständen hörte er auch die Autos vorbeibrausen. Doch nur die größeren LKWs konnte er auch sehen. Weder links noch rechts von ihm gab es eine Stelle, wo ein Aufstieg in seinem Zustand machbar gewesen wäre. „Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern“ war schon lange nichts mehr, das der sinnlichen Erbauung diente und verschüttete Energiereserven freisetzte. Eher schon beschäftigte ihn die These, daß Legenden früher sterben.
    Herr Schweitzer mußte sich für eine Richtung entscheiden. Kein einziges Kriterium sprach für oder gegen die eine oder andere Seite. Es war ein saudoofes Vabanquespiel.
    Nach langen Minuten des Grübelns entschied er sich für rechts. Und zwar deshalb, weil sich auf dieser Seite Maria beim Spazieren immer einhängte. Nichts als Aberglaube.
    Knapp dreißig Meter waren zurückgelegt, da erkannte Herr Schweitzer eine Option. Einige Bäume am Hang waren dergestalt gewachsen, daß sie erstens sehr dicht beieinander standen, und zweitens im Zickzack als eine Art Treppe benutzt werden konnten. Doch alles in allem würde es nicht einfach werden, wußte Herr Schweitzer. Schon in gesundem Zustand war es für eine dermaßen unsportliche Person, wie er eine war, fast unmöglich dort hochzugelangen. Und nun mußte er es noch mit Handicap meistern. Wenn das mal gut geht, zweifelte Herr Schweitzer. Aber ihm blieb nichts, rein gar nichts anderes übrig. Luzifer lauerte schon mit der Mistgabel.
    Frau und Herr Müller hatten nicht nur einen der deutschesten aller deutschen Nachnamen, oh nein, sie standen sozusagen für das Deutschtum schlechthin. Samstags wurde der Bürgersteig vor dem Reihenhaus gefegt und das Auto, bezeichnenderweise ein Opel, auf Hochglanz poliert. Das Auto war noch Männersache, der Herd einzig und allein Frau Lisa Müller vorbehalten. Der einzige Sohn wohnte mit seinen achtundvierzig Jahren noch bei ihnen und hatte es bei einer Frankfurter Verwaltungsbehörde zum Beamten mit Pensionsanspruch gebracht.
    Das Rentnerehepaar kehrte gerade von einem Arzttermin – Herr Müller hatte Hämorrhoiden – aus Königstein zurück. Nichtsahnend lenkte der Pensionär das Gefährt in eine ewiglange und nicht allzu steile Linkskurve. Doch wie Schiller einst bemerkte: Des Lebens ungeteilte Freude wird niemandem zuteil. Auch all den Müllers dieser Welt nicht. Denn wie sie so gemütlich und mit angemessen niedrigem Tempo die Kurve beschrieben, erschien ihnen im Scheitelpunkt selbiger ein Gespenst. Nun gibt es gute und böse Geister. Manchmal ist der Unterschied auf den ersten Blick nicht offensichtlich. Hier aber schon. Denn es war Herr Schweitzer, der unrasiert, mit verfilzten Haaren, verdreckt und oberkörperfrei sich krampfhaft von der Waldseite her halb über die Leitplanke reckte und mit irren Augen mit einem Brett wedelte, von dem nur er wußte, daß es eine Krücke war.
    Da es eine Linkskurve war, hatte die Beifahrerin Lisa Müller den heruntergekommenen Herrn Schweitzer zwangsläufig als erste erblickt. Als Weltkriegsveteranin war sie nicht mehr leicht zu beeindrucken. In zu viele noch übler zugerichtete Gesichter hatte sie gesehen; auch halbierte Schädel waren darunter gewesen. So kam es, daß sich lediglich ihr Mund zu einem O formte und sie nur leicht zusammenzuckte, während ihr Normandie-erfahrener Gatte unmerklich aufs Gaspedal drückte, um den Gefahrenherd schnellstmöglich hinter sich zu lassen.
    Eine geschlagene Minute lang setzten sie wortlos ihre Reise fort. Verstohlen musterte Frau Müller ihren Mann von der Seite, ehe sie sich doch noch ein Herz faßte: „Karl, was war das eben?“
    „Was?“
    „Na das, was da über der Leitplanke hing?“
    „Ach das. Bestimmt so ein Irrer. Von denen wimmelt es doch nur so. Ach Lieschen, was soll aus dieser Welt nur

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