Verschollen im Taunus
weder Chelsea die angestrebte Championsleague noch Schalke die nächste, nach fünfzig Jahren heißersehnte Deutsche Meisterschaft trotz überteuerter Spielereinkäufe bislang haben gewinnen können. Eher würden im Pott die Kumpels wieder in stillgelegte Bergwerke einfahren, als das man auf Schalke wieder mal Erster werde. Spötter frotzelten sogar, sollten auf einer Meisterschaftsfeier mal wieder blauweiße Schals und Fahnen wehen, so würden diese von Fans des MSV Duisburg geschwenkt.
Spätestens seit Rostock anno 1992 – in Frankfurt ein ähnlich mit Schmach behaftetes Unwort wie in Frankreich des Napoleons Waterloo – hat sich hierzulande der Fan damit abgefunden, bei der Vergabe der Meisterschaft andächtig zu schweigen. Man tröstete sich mit sogenanntem ‚ehrlichem‘ Fußball und damit, den Bayern gelegentlich ein Bein zu stellen – quod erat demonstrandum, und zwar schon oft. Was also wollen wir mit diesem Mörder Alexander Michailovitsch?
Deswegen und weil seit Buch in Frankfurt eine eigene Fußballphilosophie herrscht, rufen wir vom Zico für den morgigen Montag alle Fans und Fanclubs der Eintracht zu einer Großdemonstration vor der Geschäftsstelle im Riederwald auf. Beginn: 16 Uhr.‘
Roland lehnte sich zufrieden in den Bürostuhl. Zufrieden? Nicht ganz. Das mit dem ‚Mörder‘ störte ihn. Nicht daß es nicht die Wahrheit gewesen wäre, aber auch mit der Wahrheit war das so eine Sache. Strenggenommen dürfte Michailovitsch kaum selbst Hand angelegt haben, wenn es darum ging, Widersachern das Leben schwer gemacht zu haben, indem man ihnen selbiges mittels Kugelhagel raubte. Selbst ansonsten vor sich hin dilettierende Anwälte könnten ihm aus dieser Formulierung einen Strick drehen. Ergo ersetzte er Mörder durch Gauner.
Zeit seines Lebens hatte Roland Stipp seinen Schaff mit der Kommaregelung der deutschen Rechtschreibung. Das hatte sich im Laufe seiner Journalistenkarriere zwar gebessert, doch absolut sicher war er sich nach wie vor nicht. Deswegen ging er zu Lothar Rudolf, damit der noch mal drüberschaute, bevor die neue Zico-Ausgabe in Druck gehen konnte.
Es war ein Bild für die Götter, wie Herr Schweitzer von Oberkommissar Schmidt-Schmitt und Maria von der Heide begleitet in seinen Holzpantinen über die Flure des Polizeipräsidiums schlurfte. Da er seinen rechten Fuß nach wie vor nur leicht belasten konnte, hörte sich das monotone, an den Wänden widerhallende Klack-Klack – laut, leise, laut, leise – an wie die Begleitmusik zum neuen Werbespot einer Tanzschulen-Reklame.
Bevor der vernehmende Beamte seine Fragen stellte, bekam der Detektiv ein Glas Wasser gereicht. Herr Schweitzer wünschte sich, den Jesus-Trick zu beherrschen, Wasser in Wein zu verwandeln. Denn zu diesem Zeitpunkt glaubte er noch, die Geschichte würde mit seiner Aussage das letzte Kapitel schreiben. Und ein bißchen Alkohol zur Feier des Tages wäre doch ein würdiger Abschluß, dachte er.
Also fragte er den Beamten: „Ihr habt nicht zufällig ein Glas Wein im Haus?“
Maria: „Simon!“
„Was’n?“
„Jetzt reiß dich mal zusammen.“
Aber genau das tat er ja, denn sein ganzer Körper, Geist inklusive, schrie förmlich nach erstens einer ganzen Flasche, zweitens einem Joint und drittens der Atmosphäre Sachsenhäuser Kneipenluft. In mancher Hinsicht war Herr Schweitzer sehr traditionell veranlagt. Schon seit jeher hatte er nach dem Abschluß eines Falles die Korken knallen lassen. Er kannte sich nämlich nur zu gut. Würde er heute abend nüchtern zu Bett gehen, würden die Gedanken bezüglich der kürzlich absolvierten Gefahren mit ihm Achterbahn fahren und an Schlaf nicht zu denken sein. Im Prinzip war es also pure Menschenschinderei, ihm sein kleines Gläschen Wein zu verweigern. Obendrein konnte Herr Schweitzer sehr kindisch sein. Er verschränkte die Arme und prustete die Backen auf. „Ich sag mal gar nichts, wenn ich nicht gleich ein Weinchen kriege.“ Und, er war ja kein Unmensch, kompromißbereit: „Bier tut’s auch.“ Ihm lief bereits das Wasser im Mund zusammen.
Der Beamte lief rot an. So etwas hatte er noch nie erlebt, obwohl er viel erlebt hatte.
Doch bevor er lospolterte, kam ihm Kollege Schmidt-Schmitt beschwichtigend zuvor: „Schon gut, ist ja schon gut. Ich geh was holen.“
Der Oberkommissar ging nicht selbst, sondern rief einen weiteren Kollegen im Haus an, von dem er wußte, daß sich in dessen Schrank eine Akte befand, hinter deren Deckel sich Hochprozentiges verbarg.
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