Verschollen im Taunus
einen Strohbesen und stürmte aus der Tür. „Leila“, schrie sie. Das war der Name des Wiederkäuers.
Herr Schweitzer wußte genau, wie Maria sich gerade fühlen und was für Ängste sie ausgestanden haben mußte. Meistens machten andere Menschen sich mehr Sorgen um einen als man selbst. Die- oder derjenige, welcher in Todesgefahr schwebte, konnte sich nur wenige Gedanken machen, da er ja damit beschäftigt war, sich am Leben zu halten, wodurch die Gefahr als solche fast schon zu einer Marginalie wurde. Das Ganze hatte mit Heldentum nichts zu tun – es war einfach so. Und war die oder der vom Tode bedrohte erst einmal aus dem Gröbsten raus, so wurde das Geschehene entweder verdrängt oder zum reinen Abenteuer degradiert. Selbst die Option, die Geschichte würde sich zum Negativen wenden, also mit dem Ableben enden, änderte nichts, weil Tote sich keine Gedanken mehr zu machen brauchten, sie waren ja weg vom Fenster. Auch in dieser Hinsicht war Herr Schweitzer ein Ottonormalverbraucher. Er lebte und konnte sich über das, was hinter ihm lag, belustigen. Dasselbe zum jetzigen Zeitpunkt von seiner Maria zu erwarten, das stand ihm nicht zu. Noch nicht, das wußte er. In einer reinen Männerrunde hätte er anders reagiert, hätte von einem Klacks, oder daß alles nur halb so wild gewesen sei, schwadroniert. Er stand also vor einem veritablen Problem. Das hauseigene Verhaltensmuster, erprobt in über fünfunddreißig Jahren Erwachsensein, war im Moment keine große Hilfe, weswegen seine Umarmung auch recht ungeschickt ausfiel.
Um seine Sprache war es nicht viel besser bestellt: „Du … Maria … es tut mir leid. Ich denke … äh … ich weiß, du hast dir bestimmt alles Mögliche ausgemalt. Das hätte ich auch … ganz bestimmt … an deiner Stelle. Aber wir müssen jetzt stark sein. Du und …“
Herrn Schweitzers Abgebrühtheit besaß in Sachsenhausen Legendenstatus. Darauf bildete er sich etwas ein. Daß ihm die eigene Freundin diesbezüglich das Wasser reichen konnte, hatte er zwar schon mehrfach erlebt, aber gerade eben war es ihm entfleucht.
Maria: „Stark sein? Jetzt stell dich mal nicht so zimperlich an. Was ist denn los mit dir? So kenne ich dich gar nicht. Ein bißchen Feuer im Wald, ein Toter in zwei Teilen – damit kannst du doch keinen vom Hocker reißen. Selbst in Deutschland passieren täglich ganz andere Sachen.“
Man sieht, Maria wußte den Detektiv zu nehmen. Sie schob ihn von sich, faßte ihn beidarmig an den Schultern und besah ihn von oben bis unten. Natürlich hatte sie Ängste ausgestanden, aber frau mußte ja nicht gleich alle Karten auf den Tisch legen. Ihr Blick blieb an den Würsten hängen und umgehend machte sich ihr Magen bemerkbar. „Oh, Krakauer, das sieht aber lecker aus. Darf ich auch mal …“ Sie setzte sich an den Tisch. Die Gabel war schon in der Hand.
Schmidt-Schmitt grinste sich eins. Die Situation gefiel ihm nun außerordentlich.
Betröppelt und offenen Mundes stand Herr Schweitzer mit hängenden Schultern im Raum herum, als habe gerade der Lehrer zu ihm gesagt, das mit seiner Versetzung stehe aber auf sehr wackeligen Füßen.
Angefressenes Schnittlauch in der Hand betrat Dagmara Lakomy den Raum. „Dumme Leila. Oh, Frau haben auch Hunger?“ Sie sah zum Oberkommissar, der aber sofort abwinkte. „Dann ich holen noch eine Portion. Ist genug da für alle.“
Herr Schweitzer hatte sich erholt. Pah, dachte er, dann halt nicht. Er wollte mit der Kripo reden, vielleicht verstanden die ihn ja. „Mischa, wann, hast du gesagt, wollten die Bullen hier sein?“
„Tja, eigentlich sind sie längst überfällig. Ich hab sie schon vom Auto aus angerufen. Aber vielleicht suchen sie ja noch. Wir haben auch ein bißchen länger gebraucht. Ist nicht einfach zu finden.“
Es dauerte dann aber noch eine weitere Portion Krakauer für Herrn Schweitzer, bis der Polizeiwagen durch das Tor fuhr.
Ein paar Minuten darauf sagte der Detektiv: „Ich geh dann mal jetzt meine Aussagen zu Protokoll geben.“ Zu Frau Lakomy gewandt: „Und vielen Dank für Ihre Hilfe. Die Würste waren sehr köstlich. Ich komme Sie besuchen, wenn alles vorbei ist.“
Die alte Dame errötete.
Maria: „Willst du dir nicht die frischen Klamotten anziehen? Du kriegst sonst noch eine Anzeige wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses an den Hals. Warte, ich hol dir die Tüte aus dem Auto. Und … wasch dir inzwischen mal die Haare. Du siehst aus wie Rumpelstilzchen nach dem Schleudergang. Und … äh …
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