Verschollen in der Pyramide
die Saper doch bestimmt nach deinem Vater gesucht?«
»Ja, aber sie haben ihn nicht gefunden!«
Der große Wächter schüttelte den Kopf. »Es ist nicht zu fassen! Du glaubst wohl, du bist schlauer als die Saper?«
»Nein, aber vielleicht haben sie aus Versehen einen Gang oder eine Kammer ausgelassen?«
Der Wächter lief rot an. »Jetzt reicht’s mir! Macht, dass ihr wegkommt!«
Der andere Wächter, der bisher ganz im Hintergrund geblieben war, wagte einen Vorstoß. Klein und rundlich wie er war, erregte er fast Sethas Mitleid.
»Selat, reg dich doch nicht so auf«, sagte er beschwichtigend. »Sieh doch, das Mädchen ist verzweifelt! Wer soll uns denn nachweisen, dass wir die beiden hineingelassen haben? Bei den vielen Wachablösungen ist das fast nicht möglich.«
Selat stieß die Spitze seiner Lanze auf den Boden und musterte Setha und Meketre durchdringend, schien einen Moment zu überlegen, dann fragte er lauernd: »Könnt ihr uns denn etwas geben für die Gefahr, in die wir uns bringen?«
»Ja, wir haben einige recht wertvolle Dinge dabei, dort, auf unserem Esel«, beeilte sich Setha zu antworten.
»Aber Selat«, wagte der andere Wächter einzuschreiten. »Die beiden suchen ihren Vater, lass ihnen die Sachen.«
»Bist du von allen guten Geistern verlassen, Nebanum? Schließlich ist es wirklich nicht ganz ungefährlich. Was ist, wenn uns jemand beobachtet?«
Erschrocken blickte Nebanum sich um, aber auf der Nordseite der Pyramide waren die Außenarbeiten inzwischen beendet und es war niemand zu sehen.
»Los, beeilt euch! Holt die Sachen«, ordnete Selat im Befehlston an.
Setha und Meketre eilten zurück, banden die Säcke los und stellten dem Esel eine Schale mit Wasser hin.
Dann verteilten sie die Last: Setha schulterte den Sack mit den Fackeln, Brot und Feigen, an ihrer Hüfte hing ein Öllämpchen, befestigt mit einem Leinengurt. Meketre schleppte die Tauschwaren und einen Sack mit zwei schweren Wassergefäßen.
Als Setha vor Selats Augen den Sack mit Mahnuds Tauschwaren öffnete, begannen seine Augen zu funkeln. Er wühlte darin herum, ließ die Türkissplitter durch seine Finger rieseln, besah sich die Alabastergefäße und hielt die Schmucksteine gegen die Sonne.
Dann schob er zusammen mit seinem rundlichen Kollegen die schwere Steinplatte vom Eingang zurück und ließ Setha und Meketre in das Haus der Ewigkeit hinein.
»Glaubt ja nicht, dass wir euch suchen lassen, wenn ihr nicht wieder herauskommt!«, rief ihnen Selat nach.
Als die Grabwächter die Steinplatte wieder vor den Eingang geschoben hatten, gaben Sethas Beine plötzlich nach. Am ganzen Leib zitternd sank sie in die Knie.
»Es ist so furchtbar dunkel hier und die Luft ist unerträglich«, stammelte sie, zusammengekauert auf dem Boden hockend.
»Wir dürfen jetzt nicht aufgeben, Setha, nun gibt es kein Zurück mehr.« Meketre half seiner Freundin hoch, holte eine Fackel aus dem Sack und zündete sie an Sethas Öllampe an. Setha bemerkte, dass auch Meketres Hände zitterten. »Wir müssen den Weg markieren, damit wir wieder zurückfinden.« Meketre leuchtete in den Sack, während Setha einen spitzen weißen Kalkstein heraussuchte.
Bevor sie den ersten Schritt in den Gang hineinwagten, der sich vor ihnen auftat, führten sie ihre Amulette zur Stirn und flehten die Götter um Schutz an.
»Ich gehe voraus«, flüsterte Meketre. »Bleib einfach dicht hinter mir.«
Er legte den Sack mit den Wasserkrügen vorsichtig über die linke Schulter, nahm eine Fackel in die rechte Hand und leuchtete so weit wie möglich voraus. Behutsam setzten sie einen Schritt vor den anderen. Dumpfe, stickige Luft schlug ihnen entgegen. Sie waren noch nicht lange gegangen, als sie auf einen zweiten Gang stießen, der nach oben führte.
»Das muss der Aufgang zur Sargkammer des Pharaos sein«, sagte Setha. »Mein Vater hat mir oft davon erzählt.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass Mahnud da oben ist«, meinte Meketre. »Er kennt sich in diesem Teil der Pyramide gut aus. Selbst wenn sein Licht ausgegangen ist, hätte er sich an den Wänden entlang zum Ausgang tasten können. Außerdem wurde sein Stirnband im unteren Teil der Pyramide gefunden.«
»Aber vielleicht hat er sich verletzt von unten nach oben geschleppt und ist dort liegen geblieben.«
»Also gut, aber . . .« Meketre verschluckte die letzten Worte.
Ihm graute davor, die geweihte Sargkammer zu betreten. Was, wenn sie den Zorn des Gottes Horus heraufbeschworen?
Bevor sie nach oben
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