Verschollen in der Pyramide
gingen, machte Setha einen Strich an beide Wände. Nach etwa 50 Schritten veränderte sich der Gang, er wurde sehr schmal und hoch. Meketre leuchtete nach oben, konnte aber die Decke nicht genau erkennen, das Licht war zu schwach.
Dicht aneinandergedrängt setzten sie ihren Fuß in die Sargkammer des Pharaos. Mit der Fackel zeigte Meketre auf den Sarkophag aus rotem Granit, der auf der Westseite der Kammer stand. Er ließ den Sack von seiner Schulter auf den Boden gleiten und zündete eine zweite Fackel an. Mit den beiden Fackeln bewegten sie sich auf Zehenspitzen auf den Sarkophag zu. Die Flammen warfen verzerrte Schatten an die schimmernden Granitwände der Grabkammer.
»Unsere Schatten im Jenseits«, wisperte Setha.
»Das sind keine Jenseitsschatten, sondern unsere wirklichen!« Meketre erschrak, seine Worte klangen wie aus einer anderen Welt.
Als sie ihre Fackeln über den Rand des Sarkophags hielten, schoss etwas Schwarzes heraus und verschwand im Dunkel der Kammer.
»Vorsicht, die Ba-Seele des Pharaos«, schrie Setha, »sie hat soeben seinen Körper verlassen!«
In blinder Flucht stürzten Setha und Meketre aus der Sargkammer, den hohen Gang entlang bis zu dessen Gabelung. Dort blieben sie keuchend stehen. Zitternd stellte Setha ihren Sack mit den Fackeln auf den Boden.
»O nein, ich habe meinen Sack in der Grabkammer stehen lassen!«, rief Meketre.
Setha schaute ihren Freund entsetzt an. »Dahin gehe ich jedenfalls nicht zurück!«
»Beruhige dich, ich glaube, das war nur eine Fledermaus. Der Pharao liegt doch noch gar nicht im Sarkophag, also kann es nicht sein Ba gewesen sein.« Mit flatternder Hand berührte Meketre das Amulett um seinen Hals. »Ich hole den Sack, aber dort weiterzusuchen ist sinnlos.«
Meketre umklammerte das Amulett des Horus, bis er wieder in der Sargkammer stand. Dort packte er schnell seinen Sack und rief verhalten nach Mahnud. Aber außer dem Widerhall seiner Stimme war nichts zu hören.
Gemeinsam beschritten sie den steil abwärts führenden Gang. Setha markierte ihn und blies die zweite Fackel wieder aus, denn sie hatten insgesamt nur fünf dabei. Der unebene Boden des Ganges war mit Geröll übersät, sodass sie sich immer wieder an den Wänden abstützen mussten, um nicht zu rutschen.
Nachdem sie sich einige Minuten lang mühsam voranbewegt hatten, blieb Setha auf einmal stehen.
»Psst, ich höre etwas! Leuchte mal nach unten!«
Meketre leuchtete den Gang hinunter. »Ich kann nichts erkennen, aber da raschelt es von irgendwoher!«
Ungeduldig schubste Setha ihren Freund vorwärts. Meketre stolperte, Setha riss ihn am Arm wieder hoch und schob ihn weiter. Plötzlich fiel der Lichtschein der Fackel auf den Eingang zu einer Kammer. Außer Atem schauten sie sich um. Die Kammer war weniger als halb so groß wie die Grabkammer des Pharaos und auch nicht so hoch. Sie schien noch nicht fertiggestellt zu sein, auf dem Boden lagen unterschiedliche Werkzeuge und ein leerer Wasserkrug. Als Meketre in die linke hintere Ecke der Kammer leuchtete, schossen Ratten hervor. Er wich zurück, stürzte und riss Setha mit zu Boden. Dabei fiel ihm die Fackel aus der Hand und erlosch, fast gleichzeitig war ein klirrendes Geräusch zu hören. Dann war es vollkommen finster.
»Das Öllämpchen, das Öllämpchen!« Sethas Kehle zog sich zu, sie glaubte zu ersticken. Das Öllämpchen warzerbrochen, sie würden keine Fackel mehr anzünden können!
»Und es ist nicht nur das Öllämpchen«, ließ sich Meketres Stimme dumpf aus der Finsternis vernehmen, »unsere Wasserkrüge sind auch zerbrochen.«
Als Setha nach dem Sack tastete, schlugen die Scherben der zersprungenen Gefäße tönern aneinander.
Setha und Meketre ließen sich auf den Boden nieder und klammerten sich aneinander. Ratten huschten durch die Kammer ohne vor ihren Beinen haltzumachen.
»Hier finden wir niemals wieder heraus«, schluchzte Setha nach einer langen Zeit des Schweigens.
Setha und Meketre verloren ihr Zeitgefühl. Manchmal schliefen sie kurz ein, wachten auf, wenn eine Ratte über sie hinweglief, schliefen wieder ein. Sie wussten nicht, wie viel Zeit sie schon in der Kammer verbracht hatten, als Setha plötzlich ein Geräusch vom Gang her hörte. Sie löste sich von Meketre, der eingeschlafen war, und lauschte. Das Geräusch kam näher, ein schwacher Lichtschein, kaum wahrnehmbar, drang in den Raum. Setha konnte es nicht fassen! Ein Lichtschein, vielleicht doch Arbeiter? Oder trieben Dämonen und böse Kräfte im
Weitere Kostenlose Bücher