Verschollen in der Pyramide
Sie hatte die ganze Nacht kein Auge zugetan, weil sie befürchtet hatte, Heqanacht könnte sich absetzen, falls er von Mahnuds Befreiung Wind bekommen würde.
Heqanachts Blick war zu Boden gesenkt. Er schaute auch nicht auf, als die bewaffneten Männer ihn mitten durch die versammelten Nachbarn abführten. Als der kleine Trupp verschwunden war, wollten alle aufgeregt wissen, was passiert war. Nachdem Setha und Meketre die ganze Geschichte berichtet hatten, wurden sie bejubelt wie Helden.
Zwei Tage später kam ein Bote vom Hof des Pharaos. Er überbrachte Setha und Meketre den Dank des Herrschers und las aus einer Papyrusrolle vor: »Für die Aufdeckungeiner gefährlichen Verschwörung gegen unseren Gottkönig und für euren großen Mut sollt ihr belohnt werden. Begebt euch in drei Tagen an den Hof des Pharaos, dort wird euch ein Würdenträger des Hofes abholen.«
Der Bote rollte den Papyrus zusammen, gab Setha und Meketre eine schriftliche Einladung und wollte dann gehen. Setha bat ihn jedoch, etwas über die Verschwörer zu sagen.
»Paheri, Heqanacht und zwei der ruchlosen Priester sind bereits zum Tode verurteilt. Die anderen sind noch nicht gefasst.«
10
A m Tag des Empfangs am Hof des Pharaos fühlte sich Setha leicht und froh, obwohl sie sich nicht so herrichten konnte, wie sie es sich gewünscht hätte. Jede Bewegung mit den Krücken, die Meketre für sie angefertigt hatte, war mühsam und anstrengend.
Den Palast des Herrschers, die Festung der »Weißen Mauern« in Memphis, erreichten sie nach einem halben Tagesritt mit dem Esel von Meketres Vater. Da das Tier Setha kaum tragen konnte, kamen sie nur schleppend vorwärts. Als der Esel am Tor zusammenbrach, wurde Meketre blass vor Schreck. »Wie soll ich das meinem Vater beibringen?«, flüsterte er Setha ins Ohr. Doch ehe sie sich weitere Gedanken darüber machen konnten, kümmerten sich zwei Torwächter um das Tier. Setha und Meketrezeigten den anderen Wächtern ihre Einladung und wurden durchgelassen.
Nun lag der Palast des Pharaos genau vor ihnen! Die Sonnenstrahlen beleuchteten die bemalten Lehmziegel und die bunten Matten, mit denen die Fassade behängt war. Mauervorsprünge gliederten die Außenwände und schufen Nischen, in die große Falken eingemeißelt waren. Unter jedem Falken erschien der Horusname des Herrschers. Das Spiel der Sonnenstrahlen mit dem Grün, Grau, Ocker und Rot der Fassade bezauberte Setha.
»So schön habe ich mir den Palast nicht vorgestellt«, rief sie, ganz gefangen von dem Anblick.
»Da, sieh die Wachen am Eingang«, flüsterte Meketre. »Ob sie uns wirklich hineinlassen?«
Als sie sich langsam näherten, blickten die Wachen sie neugierig an.
»Wir haben eine Einladung«, sagte Meketre und zeigte das beschriebene Stück Papyrus vor.
»Seid willkommen.« Einer der Männer ging vor Setha und Meketre her und geleitete sie in einen Empfangsraum.
»Wartet einen Augenblick«, sagte der Türwächter, »der Wesir kommt gleich.«
Setha und Meketre schauten sich um. In dem Raum waren keine Möbel zu sehen, Boden und Wände waren mit Blumen, Tieren und Jagdszenen bemalt, in den Ecken standen Götterstatuen von Horus, Isis, Hathor und Thot.Die Lotosblume war das häufigste Motiv an den Wänden und auf dem Fußboden beherrschten Lotosblumenmosaike das Bild. Setha war in die Betrachtung der kunstvollen Malereien und Arbeiten versunken, als der Wesir eintrat, gefolgt von einer jungen Dienerin und einem älteren Diener.
»Ich begrüße euch im Namen unseres Herrschers und Gottkönigs, der euch die Aufdeckung einer Verschwörung zu verdanken hat, und heiße euch im Palast des Pharaos willkommen.«
Setha und Meketre verneigten sich.
»Wir fühlen uns geehrt, in der Residenz unseres großen Herrschers Gast sein zu dürfen«, sagten Setha und Meketre gleichzeitig, so hatten sie es besprochen.
»Ihr wollt euch bestimmt erfrischen, bevor euch zum Dank ein Festtagsmahl in einem der Gärten des Palastes gereicht wird. Man wird euch die Gemächer zeigen, wo Duftöle, Tücher und Kleidung bereitliegen.«
Die junge Dienerin führte Setha in einen Baderaum, dessen Mittelpunkt eine hölzerne Sitzbadewanne bildete. Überall im Raum standen kleine Gestelle mit kostbaren Ölen, Schmink-Paletten, Schmuck und Perücken, auf einem Schemel lag ausgebreitet ein Kleid aus feinstem Leinen. Die Dienerin tupfte Setha mit wohlriechenden Tüchern ab, da sie mit dem verbunden Bein nicht in die Wanne konnte. Dann legte sie ihr das Kleid an, das
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