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Verschollen

Titel: Verschollen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Åke Smedberg
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monströsen und überladenen Bau auf der anderen Straßenseite zu blicken schien.
    »Er ist bestimmt schon gut über achtzig, aber noch immer hellwach und klar im Kopf. Zumindest war er das, als ich ihn das letzte Mal sah. Wollen Sie einen kleinen Schwatz wagen?«
    Auch äußerlich war Einar Westling noch immer eine imposante Erscheinung. Breit und untersetzt, mit muskulösen, leicht hängenden Schultern und kräftigen Armen. Und mit einer nahezu lähmenden Kraft in seinem Händedruck. Er betrachtete die Besucher mit einem wachen, taxierenden Blick aus hellblauen Augen. Mit schwankendem Gang steuerte er aufs Küchenfenster zu und warf seine großen Hände in die Luft.
    »Von hier aus habe ich es gesehen, klar und deutlich. Es war ja Sommer, schon hell. Ich habe sie dort draußen Lärm machen hören. Die Jungens haben sie nach Hause gebracht und sind ziemlich ausgelassen gewesen. Wie der Teufel sogar! Aber es war ja Wochenende, und ich erinnerte mich gut daran, wie man in dem Alter ist. Darum ist es mir auch nicht in den Sinn gekommen, rauszugehen und Ärger zu machen. Lass sie feiern, dachte ich. Sie werden noch früh genug müde werden. Lass sie toben und lachen, solange sie noch können.
    Dann fuhren sie weg, und Anna blieb stehen und sah ihnen hinterher. Ich blieb auch eine Zeit lang stehen, hier am Fenster. Aber dann bin ich schließlich doch ins Bett abgezogen. Und eingeschlafen. Nach einer Weile. Ich hatte damals Schwierigkeiten mit dem Einschlafen. Es war erst ein Jahr her, dass Elsy nicht mehr da war, sie starb ja so früh, war erst dreiundfünfzig. Und unsere Jungen waren auch schon seit Jahren ausgeflogen. Der eine in Svenstavik, der andere in Sundsvall. Ich war es nicht gewohnt, allein zu sein, und es wurde mit der Zeit auch nicht besser, es fiel mir schwer einzuschlafen...«
    Er holte tief Luft.
    »Und als ich dann gehört habe, was passiert ist...«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Das war eine Teufelsgeschichte. Man dachte hinterher ja... Wäre ich doch einfach noch einen Augenblick länger stehen geblieben... Oder wenn Bella, meine Jämtlandshündin, noch da gewesen wäre, hätte sie bestimmt angeschlagen, wenn dort draußen Fremde gewesen wären... Aber, aber hinterher denkt man immer an so vieles. Und dann ist es zu spät.«
    Er schwieg für einen Moment. Holte dann erneut Luft, so als würde er Anlauf nehmen, als wäre er endlich bei dem angekommen, was er eigentlich erzählen wollte. Und als er wieder zu sprechen begann, war seine Tonlage viel höher, aufgeregt und beinahe aggressiv.
    »Und dann, ein halbes Jahr später, kurz vorm Winter, da stand er mit einem Mal da, Sjödin!«
    Er fuchtelte heftig mit der Faust in Richtung Tür.
    »Er kam nicht rein, stand nur in der Tür. ›Es ist am besten, wenn Sie alles erzählen, Westling. Was passiert ist, und was Sie mit ihr gemacht haben. Sie werden nicht davonkommen. Dafür werde ich schon sorgen.‹«
    Er atmete schwer.
    »Verdammt! Ich konnte nicht glauben, was ich da hörte! Was er da sagte. Anna ist bei uns ein und aus gegangen, seit sie ein kleines Kind war. Sie war in der Küche, wenn Elsy Plätzchen gebacken und den Haushalt gemacht hat. Ja, sie war zu der Zeit hier eher zu Hause als oben bei den Sjödins. Und mit Carina, ihrer Halbschwester, war es genau dasselbe. Unser einer Junge und Carina waren im selben Alter. Und dann kam Anna hinterher, immer den Großen auf den Fersen, wie ein Hundewelpe.«
    Wieder holte er pfeifend Luft.
    »Ich war wie versteinert. Konnte mich nicht mehr rühren. Ich hätte ihn eigentlich hochkant rausschmeißen müssen! Aber es war wie... Ja, ich konnte es einfach nicht fassen, was er da gesagt hatte...«
    Er verstummte, stützte sich an der Spüle ab. Olle Ivarsson schnitt eine Grimasse und hob die Hand.
    »Er war nicht mehr er selbst«, sagte er versöhnend. »Und er wurde auch nicht mehr der Alte. Das wissen Sie doch, oder? Und Sie waren auch nicht der Einzige, den es erwischt hat. Sie waren in guter Gesellschaft, so gut wie die Hälfte des Ortes war dran.«
    Westling zuckte leicht mit den Schultern.
    »Natürlich weiß ich das. Aber es tat trotzdem weh. Und tut es noch heute. Nichts wurde wieder so wie früher. Dass er tatsächlich so etwas von einem glauben konnte. Und nicht nur er.«
    Er ließ seinen Blick auf Olle Ivarsson ruhen.
    »Ja, ehrlich gesagt, haben Sie doch auch nicht geglaubt, was ich gesagt habe, oder? Es war, als wäre da immer ein Verdacht geblieben. Und das mit dem Auto, von dem ich erzählt habe, da

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