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Verschollen

Titel: Verschollen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Åke Smedberg
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einen Tropfen zu sich genommen und auch kein Verlangen danach gehabt. So funktionierte das bei ihm, etwas tauchte auf und nahm ihn gefangen. Oder er warf sich diesem vielleicht auch in die Arme, wie man nach einer Rettungsleine greift.
    Nun wusste er, dass er weitertrinken würde, bis zum absoluten Nullpunkt. Er bemühte sich erst gar nicht mehr, dafür eine Erklärung zu finden. Oder die Ursachen aufzudecken. Es war einfach eine gewaltige Unersättlichkeit, eine Maßlosigkeit. Er konnte einfach nicht aufhören.
    Er würde eine Zeit lang noch leidlich funktionieren im sozialen Kontext, das wusste er. Aber das würde auch nachlassen, er würde sich zielstrebig in Grund und Boden trinken, bis zu einem Tiefpunkt, dem Moment der Auflösung, in dem nichts mehr eine Bedeutung hatte, nichts mehr existierte. Wenn nichts passierte.
    Er lehnte sich zurück und dachte an Lasse Henning. Im Prinzip wusste er, dass er ihn um alles bitten konnte. Wenn es ihm möglich war, würde Lasse es regeln. Oder er würde ihm Ratschläge geben und Alternativen aufzeigen. Er spürte, dass Lasse ein so unerschütterliches Vertrauen zu ihm hatte, dass ihm noch nicht einmal der Gedanke gekommen war, dass dieses Vertrauen missbraucht werden könnte. »Entweder bist du ein besserer Menschenkenner als jeder, den ich kenne«, hatte Nielsen einmal zu ihm gesagt. »Oder du bist ganz einfach dumm.«
    Lasse hatte laut aufgelacht.
    »Das gehört vielleicht irgendwie zusammen, glaubst du nicht? Zwei Seiten einer Medaille.«
    Wie lange kannten sie sich schon? Er rechnete nach, es mussten fast fünfundzwanzig Jahre sein. Er war siebzehn gewesen, als er das erste Mal mit Lasse Henning zusammenstieß. In einem Einsatzwagen. Zu der Zeit war Lasse noch Streife gefahren, und Nielsen hatte wütend versucht, ihm eins zu verpassen, aber ohne Erfolg. Er erinnerte sich schwach, dass Lasse ihn ganz ruhig am ausgestreckten Arm gehalten hatte, ehe er ihn herumdrehte und mit einem einfachen Griff zu Boden warf. Ohne große Anstrengung und ohne sich von ihm provozieren zu lassen.
    Später wurde Lasse sein Bewährungshelfer und derjenige, der ihm seine ersten journalistischen Erfahrungen ermöglichte, indem er ihm mithilfe seiner Kontakte ein Volontariat bei der
Norrtelje Tidning
verschaffte.
    Es lagen zwar nur sieben Jahre zwischen ihnen, aber Lasse wurde sehr schnell zu einem Elternersatz, wie es Janne und Kerstin für ihn nicht sein konnten. Zumindest war er der Einzige, der es wagte, ihm Grenzen zu setzen.
    »Es gibt ein Wort, das man lernen muss«, hatte er immer gesagt. »Und das ist nein. Dann regelt sich das andere meist von selbst.«
    »Das kann kaum ein größeres Problem für dich gewesen sein«, hatte Nielsen säuerlich bemerkt. »Das ist sicher angeboren. Und mir scheint, es ist auch das einzige, woraus dein Wortschatz besteht.«
    Gegen acht Uhr klingelte das Telefon.
    »Bist du noch ansprechbar?«
    Er registrierte sehr wohl die Portion Ernst hinter dem Scherz.
    »Natürlich«, erwiderte er. »Keine Gefahr. Du musst dir keine Sorgen machen. Du kennst mich doch!«
    »Na eben darum.«
    Nielsen grinste. Er konnte Lasse Hennings prüfenden Blick förmlich spüren.
    »Du hast Überstunden gemacht, scheint mir«, sagte er.
    Der andere schnaubte.
    »Wann soll ich sonst Zeit dafür finden, was meinst du?«
    Er schwieg einen Moment, ehe er fortfuhr.
    »Ich musste ein kleines Stückchen in die Vergangenheit zurückgehen. Aber auf jeden Fall ist dieser hier nicht immer ein wohlerzogener Junge gewesen. Willst du es hören?«
    Als Henning zu Ende war, schwiegen sie eine Weile. »Na ja, so schlimm steht es ja nicht um ihn«, sagte Nielsen schließlich. »Nicht so schlimm, als dass ich das nicht selbst hätte sein können.«
    Lasse Henning lachte leise. »Ich weiß.«
    »Und später ist nichts mehr vorgefallen?«
    »Ein paar Vermerke vom Finanzamt. Aber nichts Auffälliges. Er scheint beschlossen zu haben, mit dem ganzen Mist aufzuhören. Und hat es offensichtlich auch durchgehalten. Oder es ist etwas passiert. Vielleicht ist er errettet worden.«
    Nielsen nickte. Er wusste, dass es nicht als Scherz gemeint war. Die meisten, die mit ihrem alten Leben brachen, taten dies auf Grund einer umwälzenden emotionalen Erfahrung. Liebe konnte das sein. Oder eine radikale Veränderung, religiös oder politisch.
    »Wäre es möglich, an ein Foto zu kommen?«
    Lasse Henning holte Luft. »Jetzt reicht es aber, zum Teufel! Was hat dieser arme Kerl dir eigentlich getan?«
    Er verstummte und

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