Verschollen
ihm hergetrottet, die Nase nah über dem Boden.
Nielsen nahm ihn an die Leine, überquerte die Straße und ging hinunter zum Naherholungsgebiet und dem Flussufer. Er ließ sich von Tjarrko bis zum Vogelturm am Rande des Schilfdickichts ziehen. Dort hielt er an, machte ihn los, lehnte sich an das Holzgestell und zündete eine Zigarette an.
Er konnte sein Haus von hier aus schemenhaft sehen. Deplatziert und ein wenig verloren lag es da, mit den Hochhäusern im Nacken. Er hatte es nun schon seit fast vier Jahren gemietet. Die Besitzerin war eine alte Dame, der er nie begegnet war, vermutlich war sie schon seit langem im Pflegeheim. Er überwies zwar seine Miete dem Enkelsohn, hatte aber noch nicht einmal einen richtigen Vertrag. Das Haus stand auf öffentlichem Gelände und sollte abgerissen werden. Für die Gegend existierte ein Bebauungsplan, der eine Reihe von Einzel- und Reihenhäusern in direkter Nachbarschaft zur Hochhausbebauung vorsah. Er hatte das gewusst, als er einzog. Die meisten anderen Ferienhäuser an der Straße waren bereits abgerissen worden. Er verlängerte von einem Jahr auf das nächste. Am Anfang hatte er noch versucht herauszufinden, wie der Stand der Dinge war. Mittlerweile hatte er es aufgegeben. Zwischendurch beschlich ihn das Gefühl, dass das Haus oder vielleicht sogar das ganze Areal in der bürokratischen Maschinerie verloren gegangen sein musste, sich in einer Art Raum des Vergessens befand, und es eine große Dummheit wäre, an dessen Existenz zu erinnern. Er warf die Zigarette von sich, sah sich nach Tjarrko um und pfiff. Seine Gedanken arbeiteten auf Hochtouren, während er darauf wartete, dass der Hund wieder auftauchte.
Bengt Andersson.
Was sprach eigentlich dafür, dass dieser Mann etwas mit Anna-Greta Sjödins Verschwinden zu tun hatte? Nichts weiter als der Name Kaj Härlin und die Telefonnummer, die er aufgeschrieben hatte. Und in beiden Fällen bestand schließlich noch die Möglichkeit, dass er sich verhört hatte.
Nach nur wenigen Sätzen hörte er Lasse Hennings demonstratives Stöhnen im Hörer.
»Verdammt noch mal, Johnny, ich kann dir jetzt nicht einfach so diese Sachen besorgen!«
»Warum nicht? Ich möchte doch nur wissen, ob er verurteilt wurde. Und das ist ja kein Staatsgeheimnis, soweit ich weiß. Das kann doch nicht so kompliziert sein.«
»Dann kannst du es auch selbst machen, oder?«
»Du sitzt einfach an der besseren Quelle. Ich bräuchte dazu mehrere Tage. Und du kannst das in einem Handumdrehen machen. Mit deinem hervorragenden Wissen und deinem Scharfsinn...«
»Wen, zum Teufel, glaubst du, dass du damit einwickeln kannst, he? Mich bestimmt nicht. Du bist nur faul, Johnny! Das ist alles!«
Nielsen hörte diesem Ausbruch mit einem Lächeln zu. »Lieber«, sagte er dann, als es schließlich still wurde. »Lieber Lasse! Nur für mich. Ich werde dich nie wieder um einen Gefallen bitten.«
Lasse Henning holte tief Luft. »Außerdem bist du eine elendige Klette. Man wird dich ja nie los.«
John Nielsen lachte laut auf. »Auch darin hast du Recht. Ich kann dir nur zustimmen.«
»Was hat er denn getan?«, fragte Henning nach einer Weile. »Dieser Andersson da?«
»Das will ich ja gerade herausbekommen. Nichts, wird man hoffen dürfen. Um seinetwillen. Es lebt sich immer besser mit einem reinen Gewissen.«
Lasse Henning schnaubte. »Und was weißt du davon?«
Er verstummte wieder für einen Moment, ehe er fortfuhr.
»Wir müssten mal wieder ein Bier trinken gehen, Johnny.«
»Ich trinke gerade eins«, erwiderte Nielsen.
»Ja, das ist vielleicht genau das Problem.«
Seine Stimme hatte einen schrofferen und gleichzeitig etwas besorgten Tonfall bekommen.
»Ich weiß«, sagte Nielsen. »Ich weiß es, und es tut mir Leid. Dass ich der bin, der ich bin. Eine traurige Figur. Und dazu noch ein undankbares Schwein, das sich nur dann meldet, wenn es einen Gefallen braucht. Bist du jetzt zufrieden?«
»Nein, aber du müsstest es sein«, erwiderte Lasse Henning. »Das war ja eine Vorführung der hohen Schule in Selbstmitleid.«
Nielsen seufzte. »Im Frühling«, sagte er nach einer Weile. »Das Bier trinken wir im Frühling. Ich bin kein amüsanter Gesellschafter in dieser Jahreszeit. Im Frühling, versprochen. Dann werde ich ein anderer und besserer Mensch sein.«
Er goss sich ein weiteres Bier ein, gespritzt mit Wodka. Einen Augenblick lang starrte er ins Glas und goss dann noch einen Finger breit Wodka hinterher. In den letzten zwei Wochen hatte er kaum
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