Verschollen
kennst ihn ja! Obwohl du natürlich aufgestiegen bist, um dich muss er sich keine Sorgen mehr machen.«
Nielsen zündete sich eine Zigarette an und warf ihm die Packung zu. »Ich habe das Gefühl, dass du mich nicht mehr leiden kannst, Harri«, sagte er. »Obwohl, vielleicht hast du das ja noch nie getan?«
Harri Rajamäki schnipste sich eine Zigarette aus der Packung und steckte sie dann ganz ein, während er sein Gegenüber gelassen fixierte. »Wir können ruhig sagen, dass ich im Allgemeinen für andere Menschen nicht besonders viel übrig habe. Ich habe genug mit mir selbst zu tun.«
Er griff nach den Scheinen auf dem Tisch und fuchtelte mit ihnen vor Nielsens Gesicht herum. »Aber wenn du heute Abend noch bleibst, dann kann ich uns eine Wiedervereinigungs- und Versöhnungsparty organisieren. Und einen Cocktail mixen, der Hirn und Hintern den Platz tauschen lässt. Wie klingt das? Nicht gut? Vielleicht merkst du schon jetzt keinen Unterschied...«
Nielsen erhob sich. »Sieh zu, dass du tust, worum ich dich gebeten habe. Das genügt mir völlig.«
Harri Rajamäki lachte breit. »Selbstverständlich. Wenn ich etwas sage, dann tue ich es auch. Wenn ich mich daran erinnern kann.«
Nach seinem Besuch bei Harri verbrachte er einige Tage damit, Daten über die Familie Härlin aufzutreiben. Eintragungen im Einwohnermeldeamt, in denen er die Spuren der Familie verfolgte. Angaben über die Adoptionen, soweit zugänglich.
Verblüfft starrte er auf die Ergebnisse. Schließlich nahm er das Telefon und wählte die Nummer der Person, die seiner Meinung nach Licht in diese Angelegenheit bringen könnte.
Marianne Linde klang zuerst angenehm überrascht, als er anrief. Nachdem sie ihm eine Weile zugehört hatte, wurde ihre Stimme bedächtiger.
»Woher ich weiß, dass sie adoptiert war? Das war kein großes Geheimnis. Außerdem war das auch nicht so schwer zu erkennen. Auf jeden Fall bei Desirée. Warum fragen Sie?«
»Tja, es gab eine Reihe von Ungereimtheiten, als ich versuchte, bestimmte Angaben dazu zu recherchieren«, antwortete Nielsen ausweichend. »Aber vielleicht habe ich mich auch geirrt.«
Er ging schnell zu etwas anderem über.
»Und dass Desirée Härlin chronisch krank war, war das auch allgemein bekannt?«
»Dass sie an einer Krankheit litt, ja, sicherlich. Aber was es wirklich war, das wussten bestimmt nicht so viele. Inga Härlin war der Ansicht, dass man das nicht zur Schau stellen musste. Sie fand, dass es besser war, wenn ihre Tochter unter denselben Bedingungen wie die anderen aufwuchs. Und Desirée selbst wollte auch nicht, dass man ihre Krankheit hervorhob. Ich glaube nicht, dass sie sich als Kranke sah, für sie war es ja der normale Zustand. Sie hatte gelernt, damit zu leben.«
»Hatten Sie Kontakt zu ihren Ärzten?«, fragte Nielsen.
»Nein, überhaupt nicht. Darum haben die sich selbst gekümmert. Und dafür gab es auch eigentlich keinen Grund. In Desirées Fall gab es nie eine wirklich brenzlige Situation. Sie war ja gewissermaßen unter ständiger Aufsicht. Und sie war sehr diszipliniert, was ihre Medikamente und ihr Atemtraining anbetraf. Na ja, sie hatte auch keine andere Wahl.«
»Wie war eigentlich das Verhältnis innerhalb der Familie Härlin? Konnten Sie sich davon ein Bild machen? Das Verhältnis zwischen den Kindern und den Eltern, meine ich?«
»Lieber Gott, das ist dreißig Jahre her! Aber ich vermute, das war so wie überall, nichts Besonderes, soweit ich mich entsinne. Ein bisschen Gekeife vielleicht, zwischen Inga und der Tochter. Aber das ist in diesem Alter nichts Ungewöhnliches. Und diese spezielle Situation hat wohl zwangsläufig dazu geführt, dass sie sich ab und zu auf die Nerven gegangen sind...«
Marianne unterbrach ihren Redefluss.
»Sie fragen die ganze Zeit nach den Geschwistern Härlin«, sagte sie dann. »Kein Wort über Anna-Greta Sjödin. Warum?«
John Nielsen holte Luft.
»Das ist ein bisschen kompliziert«, sagte er. »Ich habe mir über einige Sachen so meine Gedanken gemacht und weiß noch nicht so recht, wo das hinführen wird. Aber ich habe das Gefühl, dass in der Familie Härlin nicht immer Friede und Freude herrschte. Und da Sie einen gewissen Einblick hatten, schien es mir nahe liegend, Sie zu fragen.«
»Friede und Freude? Das liegt doch auf der Hand, dass nicht Friede und Freude herrschte, mit einer chronischen Krankheit in der Familie!«
»Ich habe nicht nur daran gedacht. Gab es da nicht noch andere Spannungen? Etwas, das merkwürdig
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