Verschwiegen: Thriller (German Edition)
alles umständlich abgefragt hatte, war Jonathans Schlussfrage so kurz und bündig, dass es schon fast komisch war:
»Haben Sie den Angeklagten an jenem Morgen im Wald gesehen?«
»Nein.«
»Keine weiteren Fragen.«
Bei der Vernehmung des nächsten Zeugen machte Logiudice einen Fehler, oder besser, er langte kräftig daneben. Es handelte sich um den Detective aus Newton, der die Ermittlungen der lokalen Polizeibehörde leitete. Er war ein Standardzeuge. Logiudice musste am Anfang einige Zeugen auftreten lassen, welche die wesentlichen Fakten zur Tat und den zeitlichen Ablauf am Mordtag referierten. Der erste Polizist am Tatort wird oft aufgerufen, um den Tatort zu beschreiben, den er vorgefunden hat, und über Schwierigkeiten bei den Ermittlungen zu berichten, bevor der Fall an die CPAC weitergereicht wird. Logiudice hatte keine andere Wahl, er musste diesen Zeugen in den Zeugenstand rufen. Er folgte nur der üblichen Regie, ich hätte es genauso gemacht. Aber er kannte den Mann nicht so gut wie ich.
Lieutenant Detective Nils Peterson war schon ein paar Jahre bei der Polizei, als ich gleich nach dem Studium zur Staatsanwaltschaft berufen wurde. Ich kannte ihn also schon seit 1984. Da besuchte Neal Logiudice noch die Highschool und war mit Förderkursen, seiner Band und Masturbieren beschäftigt (das mit der Band weiß ich nicht sicher). Als junger Mann hatte Nils gut ausgesehen. Er hatte den zu seinem Namen passenden blonden Haarschopf. Jetzt, Anfang fünfzig, war sein Haar dunkler geworden, sein Rücken ein wenig gekrümmt und sein Bauch rundlich. Aber er hatte eine angenehme Art als Zeuge, und nicht dieses bräsige und aufgeblasene Verhalten von manchen Polizisten. Bei Geschworenen war er sehr beliebt.
Logiudice befragte ihn nach den Grundfakten. Der Leichnam lag, als er aufgefunden wurde, auf dem Rücken, und das Gesicht war nach oben zum Himmel gerichtet, nachdem die Joggerin ihn umgedreht hatte. Auf der Brust die drei Stichwunden und keine Anhaltspunkte auf ein Tatmotiv, keine Verdächtigen. Auch keine Hinweise auf einen Kampf oder Wunden, die von Gegenwehr zeugten. Das ließ auf einen unerwarteten Angriff schließen. Man erstellte Fotos von dem Leichnam und dem Tatort. Der Park war bereits nach den ersten Minuten abgeriegelt worden und wurde ohne Erfolg durchsucht. Man fand mehrere Schuhabdrücke, aber keinen in unmittelbarer Nähe des Toten und keinen, der zu einem Verdächtigen gepasst hätte. Es war ein öffentlicher Park, und da gab es schließlich unendlich viele Schuhabdrücke.
Und dann kam es.
»Ist es üblich, dass ein stellvertretender Bezirksstaatsanwalt sofort die Ermittlungen in einem Mordfall übernimmt?«, lautete Logiudices Frage.
»Ja.«
»Um wen handelte es sich in diesem Fall?«
»Einspruch!«
»Ich möchte Sie beide kurz sprechen«, warf Richter French ein.
Logiudice und Jonathan traten an eine Ecke der Richterbank, um sich flüsternd zu beraten. Richter French erhob sich und blickte auf sie hinunter. Die meisten Richter rollten auf ihren Stühlen heran, um sich besser mit den Anwälten austauschen zu können. Richter French tat das nicht.
Das Gespräch fand außerhalb der Hörweite der Geschworenen statt, auch ich konnte es nicht mitverfolgen. So habe ich die nächsten Absätze dem Prozessprotokoll entnommen.
Richter: Was beabsichtigen Sie mit dieser Frage?
Logiudice: Die Jury hat ein Recht darauf, zu erfahren, dass niemand anderes als der Vater des Angeklagten die ersten Ermittlungen geleitet hat, Euer Ehren. Das gilt besonders für den Fall, in dem die Verteidigung argumentiert, dass diese nachlässig geführt wurden, wovon ich ausgehe.
Der Richter: Herr Verteidiger?
Jonathan: Wir erheben aus zwei Gründen Einspruch: Zum einen ist dieser Umstand irrelevant. Selbst wenn der Vater des Angeklagten den Fall nicht hätte übernehmen sollen und wenn einige Fehler gemacht wurden – und ich räume damit nicht ein, dass dies der Fall gewesen wäre –, sagt das nichts über den Angeklagten aus. Falls Mister Logiudice nicht die Absicht hat, nachzuweisen, dass der Sohn mit seinem Vater unter einer Decke steckte, um Spuren zu verwischen, ist es unmöglich, einen Zusammenhang zwischen dem Vater und der Schuld oder Unschuld des Sohnes herzustellen. Falls Mister Logiudice den Vater wegen Behinderung der Justiz verklagen möchte, dann soll er das tun, und dann sehen wir uns alle irgendwann wieder hier. Aber darum geht es heute nicht.
Der zweite Grund für meinen Einspruch liegt darin,
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