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Verschwiegen: Thriller (German Edition)

Verschwiegen: Thriller (German Edition)

Titel: Verschwiegen: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Landay
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und unwidersprochen und nicht, wie später im Verlauf des Verfahrens, von den Widersprüchen wohlgesonnener Zeugen, der Feindseligkeit von professionellen Zeugen und Kreuzverhören durchlöchert. Meiner Meinung nach hatte er uns damit ein Schlupfloch gelassen.
    »Die Verteidigung?«
    Jonathan erhob sich. Mir fiel immer wieder auf – damals wie heute –, dass er einer jener wenigen Männer war, die man sich mühelos als Jungen vorstellen konnte, sogar jetzt im Alter, weißhaarig und über sechzig. Sein Haar war immer ein bisschen zerstrubbelt, seine Jacke aufgeknöpft, seine Krawatte nicht richtig gebunden, so als wäre sein ganzes Erscheinungsbild nichts anderes als die Schuluniform eines Jungen, eine Formalität, die verlangt wurde. Er stand mit einem verblüfften Gesichtsausdruck vor der Jury, kratzte sich am Hinterkopf und vermittelte den Anschein, als hätte er seine Rede nicht vorbereitet und bräuchte noch einen Augenblick, um seine Gedanken zu ordnen. Nach Logiudices langem Eröffnungsplädoyer, das sowohl einstudiert als spontan wirkte, war Jonathans vorgebliche Unvorbereitetheit wie ein frischer Windstoß. Ich mag und bewundere Jonathan und bin nicht ganz unparteiisch: Und ich fand, er war von den beiden Anwälten derjenige, der, noch bevor er den Mund öffnete, sympathischer wirkte, und das ist keine Kleinigkeit. Im Gegensatz zu Logiudice, der jeden Atemzug kalkulierte und auf seine Wirkung überprüfte, machte Jonathan einen ganz und gar natürlichen Eindruck. Er stand vor Gericht gedankenverloren in seinem lausigen Anzug da und sah dabei genauso entspannt aus wie jemand, der im Pyjama in seiner Küche sitzt und isst.
    »Wissen Sie, eine Sache, die der Staatsanwalt gesagt hat«, und dabei wies er mit seinem Arm nach hinten in Logiudices Richtung, »ist mir im Kopf geblieben: Der Tod eines jungen Menschen wie Ben Rifkin ist furchtbar. Sogar wenn man, wie wir, jeden Tag mit Verbrechen und schrecklichen Schicksalen zu tun hat, ist ein solcher Tod tragisch. Denken Sie nur an alle die Jahre, die dieser Junge noch vor sich hatte, und an all das, was aus ihm hätte werden können: ein großer Arzt, ein großer Künstler, ein weiser Politiker. Es ist alles verloren und vorbei.
    Angesichts dieser Tragödie verspürt man den Drang, Ordnung und Gerechtigkeit wiederherzustellen, etwas zurechtzurücken, Unrecht wiedergutzumachen. Vielleicht ist man auch wütend und möchte, dass jemand für die Tat büßt. Wir alle haben diese Gefühle, denn wir sind nur Menschen.
    Aber Jacob Barber ist unschuldig. Und ich wiederhole mich, damit Sie es alle verstehen: Jacob Barber ist unschuldig. Er hat nichts verbrochen, und er hat nichts mit diesem Mord zu tun. Hier sitzt der Falsche auf der Anklagebank.
    Die sogenannten Indizien, die man Ihnen gerade aufgezählt hat, haben keinen Wert. Sobald man die Anklage ein bisschen genauer betrachtet und die Beweismittel und Argumente unter die Lupe nimmt, löst sich alles in Wohlgefallen auf. Nehmen Sie nur den Fingerabdruck, der für die Anklage so zentral ist. Sie werden von mir hören, wie der Fingerabdruck auf das Sweatshirt gelangte. Es ist genau so, wie Jacob dem Ermittler kurz nach seiner Festnahme berichtete: Er fand seinen Klassenkameraden verletzt auf der Erde liegend vor, und er hat das getan, was jeder mit Herz und Menschenverstand tun würde. Er versuchte zu helfen. Er rollte Ben auf den Rücken, um ihn genauer zu betrachten, um zu sehen, wie es ihm ging, um ihm zu helfen. Und als er sicher war, dass Ben tot war, handelte er so, wie ebenfalls viele von uns handeln würden: Er bekam Angst und wollte mit der Sache nichts zu tun haben. Er befürchtete, dass er verdächtigt würde, wenn man ihn bei der Leiche fände, die er überdies berührt hatte. Er hatte Angst, dass man ihn einer Tat anklagen würde, die er nicht begangen hatte. Hat er richtig reagiert? Selbstverständlich nicht. Wünscht er sich heute, er wäre mutiger gewesen und hätte von Anfang an die Wahrheit erzählt? Selbstverständlich ja. Aber er ist ein Junge, er ist ein Mensch und macht Fehler. Mehr ist dazu nicht zu sagen.
    Lassen Sie nicht zu …«, er unterbrach sich und überlegte seine weiteren Worte, » …lassen Sie nicht zu, dass sich hier etwas wiederholt. Ein Junge ist tot, zerstören Sie nicht das Leben eines anderen, unschuldigen Jungen, um diesen Tod zu vergelten. Lassen Sie nicht zu, dass sich eine Tragödie wiederholt. Es ist alles tragisch genug.«
    Die erste Zeugin hieß Paula Giannetto. Sie war die

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