Verschwiegen: Thriller (German Edition)
dass die Frage vorurteilsbeladen ist. Sie unterstellt, dass der Vater ahnte, dass sein Sohn etwas mit dem Verbrechen zu tun haben könnte, und daher die Ermittlungen nicht ordentlich geführt hat. Aber es gibt weder einen Hinweis darauf, dass der Vater seinen Sohn in Verdacht hatte, noch auf absichtliche Nachlässigkeiten bei den Ermittlungen. Lassen Sie es mich deutlich sagen: Der Staatsanwalt versucht, die Geschworenen mit böswilligen Unterstellungen von der Tatsache abzulenken, dass es so gut wie keine Beweise für die Schuld des Angeklagten gibt …
Der Richter: Gut, gut, ich habe verstanden.
Logiudice: Ob diese Tatsache wichtig ist oder nicht, soll die Jury selbst entscheiden, Euer Ehren. Aber sie hat ein Anrecht darauf, darüber informiert zu sein. Die Verteidigung macht es sich bequem: Zum einen wird sie argumentieren, dass die Polizei geschlampt hat, zum anderen wird unterschlagen, dass der Vater des Angeklagten die Ermittlungen führte.
Der Richter: Ich lasse Ihre Frage zu. Aber ich warne Sie, Mister Logiudice, wenn es in diesem Prozess auch um die Frage geht, ob der Vater absichtlich oder unabsichtlich die Ermittlungen behindert hat, dann breche ich sofort ab. Da gebe ich der Verteidigung recht: Um diese Frage geht es hier und heute nicht. Wenn Sie den Vater verklagen wollen, tun Sie’s.
Die Mitschrift liefert keinen Hinweis auf Logiudices Reaktion, aber ich erinnere mich noch daran. Er sah mich durch den Saal direkt an.
Er ging zu dem kleinen Pult vor den Geschworenen zurück, sah Nils Peterson an und setzte seine Vernehmung fort. »Ich wiederhole meine Frage, Detective, welcher Staatsanwalt wurde damals mit dem Fall beauftragt?«
»Andrew Barber.«
»Sehen Sie ihn hier irgendwo?«
»Ja, er sitzt genau neben dem Angeklagten.«
»Kannten Sie Mister Barber damals in seiner Funktion als stellvertretender Bezirksstaatsanwalt? Haben Sie jemals mit ihm zusammengearbeitet?«
»Selbstverständlich kannte ich ihn. Wir haben oft zusammengearbeitet.«
»In gutem Einvernehmen?«
»Ja, würde ich so sagen.«
»Dass Mister Barber in einem Fall ermittelte, in dem es um einen Klassenkameraden seines Sohnes ging, den er unter Umständen sogar kannte, brachte Sie nicht zum Nachdenken?«
»Nein, darüber machte ich mir keine Gedanken.«
»Erschien es Ihnen nicht merkwürdig, dass Mister Barbers Sohn unter Umständen als Zeuge auftreten würde?«
»Nein, darüber habe ich nicht nachgedacht.«
»Doch bei den Ermittlungen brachte der Vater des Angeklagten massiv einen Verdächtigen ins Spiel, der dann mit dem Fall gar nichts zu tun hatte. Und zwar jemanden, der in der Nähe des Parks wohnte und Vorstrafen wegen sexueller Vergehen hatte.«
»Ja. Er heißt Leonard Patz. Der Mann hat einen Eintrag im Strafregister wegen sexueller Belästigung von Minderjährigen und Ähnliches.«
»Und Mister Barber, der Vater des Angeklagten, wollte diesen Mann als Hauptverdächtigen vorführen, stimmt das?«
»Einspruch. Irrelevant.«
»Einspruch stattgegeben.«
Logiudice: »Hielten Sie persönlich Leonard Patz für verdächtig?«
»Ja.«
»Wurde der Verdacht gegen Patz fallen gelassen, nachdem es zu einer Anklage gegen den Sohn des Staatsanwalts kam?«
»Einspruch.«
»Einspruch abgelehnt.«
Peterson zögerte, er erkannte eine Fangfrage. »Patz wurde nicht angeklagt«, sagte er vorsichtig.
»Und als Mister Barbers Sohn angeklagt wurde, überraschte es Sie nicht, dass Mister Barber mit dem Fall befasst gewesen war?«
»Einspruch.«
»Einspruch abgelehnt.«
»Doch, das fand ich überraschend, weil …«
»Haben Sie schon einmal davon gehört, dass ein Polizist oder Staatsanwalt in einem Fall ermittelt, in dem sein eigener Sohn eine Rolle spielt?«
Peterson fühlte sich in die Enge getrieben, atmete tief durch und antwortete: »Nein.«
»Das wäre ein klarer Fall von Befangenheit, nicht wahr?«
»Einspruch.«
»Einspruch stattgegeben. Fahren Sie fort, Mister Logiudice.«
In seinem Sieg schwelgend, fuhr Logiudice halbherzig mit seiner Zeugenbefragung fort. Als er sich setzte, hatte er das leicht gerötete und verblödete Gesicht eines Mannes nach dem Beischlaf. Er neigte den Kopf nach unten, bis er sich wieder ganz unter Kontrolle hatte.
Beim Kreuzverhör ging Jonathan nicht auf Petersons Aussagen zum Tatort ein, denn sie standen in keinem Zusammenhang mit Jacobs Anklage. Zwischen diesen freundlichen Männern gab es ein solches Einvernehmen, und die Fragen waren alle so harmlos, dass man den Eindruck hatte,
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