Verschwiegen: Thriller (German Edition)
Schüler handeln könnte. Nicht einen. Wenn das anders wäre, dann würde ich dem nachgehen.«
»Du kannst nicht einem Hinweis nachgehen, wenn du nicht nach einem suchst.«
Das war ein Aha-Moment. Endlich hatte ich begriffen. Es war so weit, ich hatte immer gewusst, dass es einmal so kommen würde. Ich war Neals direkter Vorgesetzter. Jetzt würde er mich ins Visier nehmen, wie er das schon so oft mit anderen gemacht hatte.
Ich lächelte gequält. »Worauf bist du aus, Neal? Den Fall? Du kannst ihn haben, wenn du willst. Oder meinen Job? Meinetwegen den auch. Aber du würdest es uns allen leichter machen, wenn du es einfach laut und deutlich sagen würdest.«
»Andy, ich bin auf gar nichts aus. Ich will nur, dass die Dinge richtig laufen.«
»Lynn, ziehst du mich von dem Fall ab, oder stärkst du mir den Rücken?«
Sie warf mir einen freundschaftlichen Blick zu, aber ihre Antwort blieb vage: »Wann hätte ich dir jemals nicht den Rücken gestärkt?«
Ich nickte, es stimmte. Ich setzte eine entschlossene Miene auf und deklarierte einen Neuanfang: »Die Schule hat heute wieder aufgemacht, die Schüler sind alle wieder zurück. Heute Nachmittag vernehmen wir die Schüler. Irgendetwas wird schon dabei herauskommen.«
»Gut«, meinte Canavan. »Wollen wir es hoffen.«
Doch Logiudice warf ein: »Und wer vernimmt deinen Sohn?«
»Keine Ahnung.«
»Ich hoffe, nicht du.«
»Nein, ich nicht. Wahrscheinlich Paul Duffy.«
»Und wer entscheidet das?«
»Ich. So ist das eben, Neal, ich entscheide. Und wenn ich einen Fehler mache, dann werde ich vor den Geschworenen den Kopf dafür hinhalten.«
Er warf Canavan einen Blick zu, der so viel bedeutete wie Siehst du? Ich hab’s dir ja gesagt , er hört auf niemanden . Sie blickte nur ausdruckslos zurück.
Fünftes Kapitel
Alle wissen, dass du es warst
Die Gespräche mit den Schülern begannen unmittelbar nach Schulschluss. Für die Kids war es ein langer Tag mit Klassengesprächen und Trauerhilfe gewesen. CPAC - Ermittler in Zivilkleidung waren von Klasse zu Klasse gegangen und hatten die Schüler ermuntert auszusagen, wenn nötig auch anonym. Die Kids hatten sie finster angestarrt.
An der McCormick-Mittelschule wurden die Stufen sechs bis acht unterrichtet. Der Schulkomplex bestand aus unscheinbaren rechteckigen Klötzen. Die Innenwände waren mit unzähligen Schichten blaugrüner Farbe überstrichen. Laurie ist in Newton aufgewachsen und hat die Schule in den siebziger Jahren besucht. Ihrer Meinung nach hat sich wenig verändert, nur, dass ihr jetzt alles kleiner vorkam, wenn sie durch die Flure lief.
Wie ich Canavan gegenüber geäußert hatte, waren diese Gespräche ein strittiges Thema. Der Schulleiter hatte uns unverblümt die Genehmigung verweigert, einfach in das Gebäude zu »stürmen« und mit den Schülern zu reden. Hätte das Verbrechen an einem anderen Ort stattgefunden, im Stadtzentrum und nicht am Stadtrand, hätten wir uns um eine Genehmigung nicht geschert. Doch hier schalteten sich der Schulrat und sogar der Bürgermeister ein und intervenierten bei Lynn Canavan, um uns zu bremsen. Schließlich durften wir mit den Kindern auf dem Schulgelände sprechen, aber nur unter bestimmten Bedingungen. Schüler, die nicht in Ben Rifkins Schulstufe waren, durften nicht vernommen werden, es sei denn, es gäbe triftigen Grund zu der Annahme, dass sie etwas wussten. Bei jedem Schüler durften ein Elternteil und/oder ein Anwalt anwesend sein, und er oder sie konnten das Gespräch jederzeit beenden, und zwar ohne irgendeine Begründung. Die meisten Punkte waren leicht einzuräumen. Sie waren verbrieftes Recht. Eigentlich sollte der Polizei nur unmissverständlich klargemacht werden: Fasst die Kinder mit Samthandschuhen an. Das war schon in Ordnung, aber wir verloren wertvolle Zeit, weil wir endlos verhandeln mussten.
Um zwei Uhr übernahmen Paul und ich das Büro des Schulleiters und begannen mit den Vernehmungen der wichtigsten Zeugen: dem engen Freundeskreis des Opfers, jene Schüler, die bekanntermaßen auf ihrem Schulweg den Park durchquerten, und jene, die von sich aus mit den Ermittlern reden wollten. Für uns beide waren zwei Dutzend Vernehmungen geplant. Weitere CPAC -Ermittler würden zur gleichen Zeit Vernehmungen durchführen. Von den meisten nahmen wir an, dass sie nicht lange dauern und nichts bringen würden. Wir zogen unsere Netze über den Meeresgrund und hofften.
Doch es geschah etwas Merkwürdiges. Nach nur drei oder vier Gesprächen hatten Paul
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