Verschwiegen: Thriller (German Edition)
hat.«
Der Polizist zögerte und warf Duffy einen Blick zu, der fragte: Warum verschwenden wir damit unsere Zeit?
»Wir versuchen es noch einmal«, wiederholte Duffy seine Worte. »Wie man uns angewiesen hat.«
Mister Logiudice:
Sie haben keine Gelegenheit mehr dazu bekommen, nicht wahr? Die Detectives sind an jenem Tag nicht mehr in den Raum zurückgekehrt, um Leonard Patz weiter zu vernehmen?
Zeuge:
Das stimmt, weder an jenem Tag noch irgendwann danach.
Mister Logiudice:
Was hielten Sie damals davon?
Zeuge:
Ich hielt es für einen Fehler. Auf der Grundlage dessen, was uns bis zu diesem Zeitpunkt bekannt war, hielt ich es für einen Fehler, Patz so schnell als Verdächtigen auszuschließen.
Mister Logiudice:
Warum?
Zeuge:
Weil die Indizien in seine Richtung zeigten.
Mister Logiudice:
Nicht alle.
Zeuge:
Was heißt hier nicht alle. In einem schwierigen Fall wie diesem zeigen niemals alle Indizien in eine Richtung. Das ist genau das Problem. Es fehlten Informationen, wichtige Daten. Es gab auch keinen eindeutigen Tathergang, keine klaren Antworten. Also machen Ermittler das, was alle Menschen tun würden: Sie erfinden eine Geschichte, eine Theorie und schauen sich dann die Daten an, um ihre Überlegungen durch Indizien zu untermauern. Sie suchen sich erst einen Verdächtigen und dann nach den Beweisen, um ihn zu überführen. Und sie lassen die Indizien beiseite, die auf die Spur von anderen Verdächtigen führen.
Mister Logiudice:
Wie bei Leonard Patz.
Zeuge:
Wie bei Leonard Patz.
Mister Logiudice:
Wollen Sie damit sagen, dass genau dieser Fall hier eingetreten ist?
Zeuge:
Ich will damit sagen, dass Fehler gemacht wurden, auf jeden Fall.
Mister Logiudice:
Und wie soll sich ein Ermittler in einem solchen Fall verhalten?
Zeuge:
Er sollte sich nicht vorschnell auf einen Verdächtigen festlegen. Denn wenn er falschliegt, dann lässt er Indizien außer Acht, die ihn vielleicht auf die richtige Spur führen. Er wird sogar für ganz offensichtliche Dinge blind.
Mister Logiudice:
Aber Ermittler müssen mit Hypothesen arbeiten. Sie müssen sich auf Verdächtige festlegen, noch bevor sie klare Beweise haben. Was sollen sie sonst tun?
Zeuge:
Das ist genau das Dilemma. Man fängt mit einer Hypothese an, und manchmal liegt man eben daneben.
Mister Logiudice:
Lag in diesem Fall jemand daneben?
Zeuge:
Wir hatten keine Ahnung, wir hatten einfach keine Ahnung.
Mister Logiudice:
Okay, fahren Sie mit Ihrer Geschichte fort. Warum haben die Ermittler Patz nicht weiter verhört?
Ein älterer Herr mit einer abgegriffenen Aktentasche betrat das Büro. Sein Name war Jonathan Klein. Er war klein, schmal und hielt sich ein wenig krumm. Er trug einen grauen Anzug und einen schwarzen Rollkragenpullover. Sein langes und auffallend weißes Haar hing ihm über den Kragen. Außerdem hatte er einen weißen Spitzbart. »Andy, hallo«, begrüßte er mich leise.
»Hallo, Jonathan.«
Wir schüttelten uns freundschaftlich die Hände. Ich hatte für Jonathan Klein immer Sympathie und Respekt empfunden. Er wirkte gelehrt und hatte etwas von einem Bohemien, ganz anders als ich – ich bin so konventionell wie Toastbrot. Aber er wurde nie überheblich und log nicht, anders als seine Mitstreiter auf der Verteidigerbank, für die Wahrheit Nebensache war. Außerdem war er sehr klug und kannte das Gesetz in- und auswendig. Er war weise, anders kann man es nicht ausdrücken. Und ich muss zugeben, dass ich mich zu Männern aus der Altersklasse meines Vaters auf geradezu kindische Weise hingezogen fühlte, so als hätte ich selbst in meinem Alter noch die schwache Hoffnung, mein Halbwaisendasein hinter mir zu lassen.
»Ich würde jetzt gerne meinen Mandanten sehen«, meinte Klein. Seine Stimme war gedämpft, das war sie von Natur aus. Das war keine Show oder Berechnung. Um ihn herum wurde es dann normalerweise immer leiser. Unwillkürlich neigte man sich ihm zu, um seine Worte zu verstehen.
»Ich wusste gar nicht, dass Sie diesen Typen vertreten, Jonathan. Für Sie ein zweitklassiger Fall, oder? So ein lausiger Pädophiler, der kleinen Jungs an die Eier fasst! Das ist nicht gut für Ihren Ruf!«
»Mein Ruf? Wir sind Rechtsanwälte! Außerdem ist er ja nicht hier, weil er pädophil ist, das wissen sowohl Sie als auch ich. Ein ganz schönes Aufgebot für einen Fall von Fummelei.«
Ich trat zur Seite. »Meinetwegen. Er ist da drin. Sie können rein.«
»Schalten Sie Kamera und Mikrofon ab?«
»Ja. Wollen Sie einen anderen
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