Verschwiegen: Thriller (German Edition)
Indizien, das ist alles.«
»Die Indizien führen zu Patz. Das habe ich dir schon gesagt.«
»Es gibt da mehr, als dir klar ist, Andy. Viel mehr.«
Ich brauchte eine Sekunde, bis ich die volle Bedeutung dieser Aussage begriff. Nur eine Sekunde. Dann wusste ich, dass es an der Zeit war, meinen Mund zu halten.
Ich erhob mich. »Okay, auf geht’s.«
»Ohne weitere Worte?«
»Wolltest du mir noch etwas mitteilen? Sie, Neal?«
»Du bist uns immer noch wichtig. Was immer dein Sohn … getan haben mag, er ist nicht du. Und du und ich, wir kennen uns schon lange, Andy, das vergesse ich nicht einfach so.«
Ich fühlte, wie meine Miene sich verhärtete, so als ob ich durch die Augenschlitze einer steinernen Maske blicken würde. Ich sah nur auf Canavan, meine Freundin aus alten Tagen, die ich immer noch gernhatte und der ich trotz allem immer noch vertraute. Logiudice würdigte ich keines Blickes. In meinem Arm zuckte es wild. Ich hatte das Gefühl, ein Blick würde genügen, und meine Hand würde ausfahren, ihn an der Gurgel packen und ihm den Hals umdrehen.
»Sind wir fertig?«
»Ja.«
»Gut. Ich muss gehen. Ich muss unverzüglich zu meiner Familie.«
Die Miene von Bezirksstaatsanwältin Canavan war beunruhigt. »Kannst du fahren, Andy?«
»Kein Problem.«
»Gut. Diese Herren werden dich in dein Büro begleiten.«
In meinem Büro verstaute ich ein paar Sachen – Papiere, Schreibtischkram, Bilder von den Wänden und kleine Erinnerungen an mein Berufsleben – in einem Pappkarton. Den Griff einer Axt aus einem Fall, den ich nicht durch die Grand Jury bekommen hatte. All die Jahre, die ganze Arbeit, die Freundschaften, der Respekt, den ich mir Schritt für Schritt, Fall für Fall erarbeitet hatte, hatten in einem Karton Platz. Alles vorbei, egal, wie Jacobs Verfahren am Ende ausging. Selbst bei einem Freispruch würde mir die Anschuldigung für immer anhaften. Die Jury konnte meinen Sohn bestenfalls »nicht schuldig« erklären, aber niemals »unschuldig«. Der Geruch von Schuld würde uns für immer anhaften. Ich hatte meine Zweifel, ob ich einen Gerichtssaal jemals wieder als Anwalt betreten würde. Doch die Dinge entwickelten sich zu schnell, um über das Gestern oder ein Morgen nachzudenken. Für den Augenblick blieb nur das Jetzt.
Seltsamerweise empfand ich keinerlei Panik. Ich behielt die Nerven. Die Mordanklage gegen Jacob war eine Bombe, die uns alle vernichten würde. Nur die Einzelheiten waren noch weitgehend unbekannt, und doch fühlte ich lediglich eine seltsam ruhige Zielstrebigkeit. Bestimmt war schon ein Team mit einem Durchsuchungsbefehl auf dem Weg zu mir nach Hause. Vielleicht war das der Grund gewesen, warum die Bezirksstaatsanwältin mich zu sich bestellt hatte: So hielt man mich vom Haus fern, bevor man es durchsuchte. Ich hätte genauso entschieden.
Ich stürmte aus dem Büro.
Aus dem Auto rief ich Laurie auf ihrem Handy an. Keine Antwort. »Es ist sehr, sehr wichtig, Laurie. Ruf mich sofort zurück, wenn du diese Nachricht hörst.«
Ich rief auch auf Jacobs Handy an. Ebenfalls keine Antwort.
Ich kam zu spät. Vor meinem Zuhause standen bereits vier Streifenwagen aus Newton, die auf das Eintreffen des Durchsuchungsbeschlusses warteten und das Haus bewachten. Ich fuhr weiter bis zur nächsten Ecke und stellte den Wagen ab.
Mein Haus steht neben der Haltestelle einer Vorstadtbahnlinie, auf der Pendlerzüge verkehren. Ein hoher Zaun grenzt den Bahnsteig vom Garten hinter dem Haus ab. Ich setzte mit einem Sprung darüber. Mein Adrenalinspiegel war so hoch, dass ich über jeden Zaun hätte springen können.
Im Garten zwängte ich mich durch die Thujahecke am Rande des Rasens. Die Zweige kratzten an meiner Haut, als ich meinen Körper hindurchschob.
Ich rannte über den Rasen. Mein Nachbar war draußen mit seinem Garten beschäftigt. Er winkte mir zu. Während ich an ihm vorbeisprintete, winkte ich im Reflex zurück.
Im Haus rief ich leise Jacobs Namen. Ich wollte ihn auf das Geschehen vorbereiten. Aber es war niemand da.
Ich raste die Treppe zu Jacobs Zimmer hinauf, und auf der verzweifelten Suche nach einem Indiz, das ich gerade noch verschwinden lassen könnte, riss ich Schubladen und die Türen zum Kleiderschrank auf und warf seine schmutzigen Klamotten auf den Boden.
Klingt das furchtbar für Sie? Ich höre die leise Stimme in Ihrem Kopf: Vernichtung von Beweismitteln! Behinderung der Justiz! Sie sind naiv. Sie haben die Vorstellung, dass Gerichte zuverlässig arbeiten, falsche
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