Verschwiegen: Thriller (German Edition)
Urteile selten sind und dass ich der Justiz hätte trauen sollen. Sie denken, wenn er Jacob wirklich für unschuldig gehalten hätte, dann hätte er das Feld einfach der Polizei überlassen, und sie hätten alles nach Lust und Laune mitgenommen. Und jetzt kommt ein kleines schmutziges Geheimnis: Die Zahl der Fehlurteile bei Strafverfahren ist viel höher als allgemein angenommen. Nicht nur die Fehlurteile, bei denen Schuldige ungeschoren davonkommen – diese Art von Irrtum ist uns bekannt, und wir nehmen ihn hin. Sie sind absehbare Folge davon, dass alles zugunsten der Verteidigung hingedreht wird. Die wahre Überraschung ist die Anzahl der echten Fehlurteile, bei denen Unschuldige schuldig gesprochen werden. Diese Fehlerrate möchten wir lieber nicht sehen oder darüber nachdenken, denn das würde zu viel infrage stellen. Sogenannte Beweise sind ebenso oft fehlerhaft wie die Aussagen der Zeugen, die sie hervorbringen – wir sind alle nur Menschen. Erinnerungen sind lückenhaft, Aussagen von Augenzeugen immer unzuverlässig und selbst ein Ermittler mit besten Absichten macht Fehler, wenn es um Beurteilen oder Erinnern geht. In jedem System ist der Mensch die Fehlerquelle. Warum sollte es ausgerechnet bei Gerichtsverfahren anders sein? Ist es natürlich nicht. Unser blindes Vertrauen in die Justiz basiert auf Ignoranz und Wunschdenken, und ich würde einen Teufel tun und diesem Apparat das Schicksal meines Sohnes überlassen. Nicht, weil ich von seiner Schuld überzeugt war, sondern im Gegenteil, weil ich mir seiner Unschuld sicher war. Ich tat das wenige, was mir blieb, um das richtige Ergebnis, das gerechte Ergebnis herbeizuführen. Wenn Sie mir nicht glauben, dann verbringen Sie mal ein paar Stunden in einem Gericht in Ihrer Nähe, und dann entscheiden Sie, ob Sie immer noch glauben, dort würden keine Fehler gemacht. Entscheiden Sie, ob Sie ihm Ihr Kind überlassen würden.
Auf jeden Fall konnte ich in Jakes Zimmer nichts finden, was auch nur im Entferntesten verdächtig gewesen wäre – den üblichen Teenagermüll, dreckige Wäsche, von seinen riesigen Füßen ausgebeulte Turnschuhe, Schulbücher, Magazine über Videospiele und Aufladekabel für verschiedene elektronische Geräte. Ich weiß auch gar nicht, wonach ich dort eigentlich suchte. Das Problem war, dass ich keine Ahnung hatte, was die Staatsanwaltschaft in den Händen hatte. Was veranlasste sie, Jacob zu belasten? Die Frage, was dieses fehlende Beweisstück sein könnte, machte mich wahnsinnig.
Ich war immer noch mit dem Durchwühlen des Zimmers beschäftigt, als mein Handy klingelte. Laurie war dran. Ich bat sie, unverzüglich nach Hause zu kommen (sie war bei einer Freundin in Brookline, ungefähr zwanzig Minuten entfernt), aber mehr sagte ich ihr nicht. Dazu war sie zu emotional. Ich hatte keine Ahnung, wie sie reagieren würde, und keine Zeit, mich mit ihr auseinanderzusetzen. Erst Jacob, dann Laurie . »Wo steckt Jacob?«, fragte ich. Sie wusste es nicht. Ich beendete das Gespräch.
Ich warf einen letzten Blick durchs Zimmer. Ich hätte gerne Jacobs Laptop versteckt. Weiß der Teufel, was er alles auf seiner Festplatte hatte. Aber ich fürchtete, dass ihm das geschadet hätte: Wenn der Computer weg war, würde das aufgrund seiner Online-Präsenz Misstrauen hervorrufen. Andererseits konnte es sein, dass man so vernichtendes Beweismaterial fand. Am Ende ließ ich ihn, wo er war – vielleicht nicht sehr intelligent, aber mir blieb keine Zeit zum Überlegen. Jacob wusste, dass er auf Facebook öffentlich beschuldigt worden war. Wahrscheinlich war er gegebenenfalls klug genug gewesen, belastendes Material auf seiner Festplatte zu löschen.
Es klingelte an der Tür. Das Spiel war aus. Ich atmete immer noch schwer.
Vor der Tür stand niemand anderer als Paul Duffy, den Durchsuchungsbeschluss in der Hand. »Tut mir leid, Andy«, meinte er.
Ich traute meinen Augen nicht. Polizisten in ihren blauen Windjacken, die Funkstreifen mit kreisendem Blaulicht und mein alter Freund, der mir den dreifach gefalteten Durchsuchungsbeschluss reichte – mir fiel keine Reaktion darauf ein, und so zeigte ich auch fast keine. Ich stand einfach nur stumm da, während er mir das Dokument in die Hand drückte.
»Andy, ich muss dich bitten, draußen zu warten. Du kennst das ja.«
Es vergingen einige Augenblicke, bis ich mich gesammelt hatte und mir klar wurde, dass das hier Wirklichkeit war. Aber ich war entschlossen, nicht den Anfängerfehler zu machen und ihnen
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