Verschwörung beim Heurigen
Umfahrungen«, mit denen die Orte am See vom Schwerverkehr entlastet werden sollten, hatte Carl übersehen.
Sie sollten mal auf der dem Gebirge zugewandten Seite, mal am See, teils als offene Straße, mal als Unterflurtrasse in einer
Betonröhre geführt werden.
Aus Marias Bemerkungen und ihren wenigen Kommentaren ließ sich ihre klare Gegnerschaft zu allen Varianten entnehmen. Schade,
jetzt fehlte ihm Johanna. Sie hätte die |281| Problematik in kürzester Zeit begriffen und sagen können, ob oder wo hier der Schlüssel zu dem Mord lag. Er würde Tage benötigen,
um sich durch das Material zu graben. Ob er dann die Zusammenhänge begreifen würde? Allem Anschein nach bestand keine Verbindung
zu Thomas Thurn.
Hatte er sich zu viel vorgenommen, und zog er voreilige Schlüsse? Aufmerksam durchblätterte Carl den Ordner – bis er das Flugblatt
der »Bürgerinitiative Pro Burgenland« fand. Auch sie befasste sich mit dem Autobahnbau – im Sinne eines Miteinanders von »Umwelt
und Entwicklung«. Carl erinnerte sich an Johannas Worte: »Damit ist grundsätzlich die Aufhebung der Baubeschränkungen durch
Maßnahmen zum Umweltschutz gemeint.« Inzwischen interpretierte sie das anders.
Er sollte versuchen, die Mitglieder der Bürgerinitiative ausfindig zu machen, sie würden Bescheid wissen, sie könnten ihm
weiterhelfen. Zwei Telefonnummern waren angegeben.
Unter der ersten Nummer meldete sich eine Anwaltskanzlei. Carl meinte, sich verwählt zu haben, und beendete das Gespräch.
Anwälte in Bürgerinitiativen? Meistens standen sie auf der Gegenseite. Aber es gab auch welche auf Seiten der Betroffenen,
um sie vor Gericht zu vertreten. »Die Scheißkerle, die mir das Leben versauern«, wie Johanna kürzlich geflucht hatte. Wie
sich die Zeiten änderten – oder die Menschen? Er versuchte es ein zweites Mal, wieder die Anwaltskanzlei, und er bat um Auskunft,
wurde aber auf den nächsten Tag vertröstet, Dr. Wollknecht sei nicht im Hause. Bei der zweiten Nummer erreichte Carl nur den Anrufbeantworter eines Privatmannes in Schützen.
Erschrocken drückte er auf AUS, er benutzte Marias Handy! Hoffentlich war jetzt die Nummer nicht gespeichert. Er durfte nur
von Hermines Büro aus telefonieren. Aber nach Frauenkirchen war es zu weit, er sollte zur Post fahren.
Bis zur nächsten Surfrunde war es noch eine Stunde hin, Carl ging mit Johannas Laptop ins Internet. Ihr Passwort |282|
hartamwind
hatte sie noch nicht geändert. Fritz hatte das Wort heute benutzt, allerdings in der Version »hart am Wind«, wenn man das
Segel nach hinten kippte und anluvte. Bei der Eingabe öffnete sich in der Bildschirmmaske der sogenannte »Verlauf«, und er
staunte: Die erste Homepage, auf die er ihn führte, war die vom Weingut Sandhofer. Das also hatte Johanna interessiert? Klar,
dass sie sich Maria hatte ansehen wollen. Merkwürdig unbeteiligt betrachtete er das Bild, Maria im Vordergrund, der Vater
im Hintergrund, bereits zurückgetreten. Maria. Mit ihr hatte alles begonnen, Hoffnung und Enttäuschung. Trauer, Abstand –
und auf jeden Fall Veränderung. Maria als Katalysator, als Stoff, der in kleinster Menge bereits die Geschwindigkeit einer
chemischen Reaktion beschleunigt, und er verbraucht sich dabei nicht. Nein, der Vergleich war dumm. Maria hatte zwar das Zusammenbrechen
seiner Ehe beschleunigt, aber sie war total verbraucht worden. Allerdings hatte sie dafür ihr Leben nicht lassen müssen. Wofür
dann?
Carl hielt es nicht mehr aus, ging in den Hof, betrachtete die üppig blühenden Rosen und hätte gern eine verschenkt, aber
in seinem Leben gab es keine Frau mehr für rote Rosen.
Er erinnerte sich an den Surfunterricht und ging zurück; bevor er das Laptop abschaltete, gab er rein aus Neugier den Namen
des Mörders ein: Thomas Thurn. Sofort war er auf der Website des Winzers und ... da war er, freundlich, selbstbewusst, überzeugend, fast roch Carl sein Rasierwasser, ein Mann, der etwas wagte, ein Händchen
für Wein und Architektur hatte, der Tradition verpflichtet und dem Neuen zugewandt war, dem offenen pannonischen Horizont,
einem vereinten Europa, wie es auf der Homepage hieß. Stechend die blauen Augen, locker die Rolex am Handgelenk. Ein Mörder?
Nachdenklich schüttelte Carl den Kopf: Kein Mensch würde ihm das glauben.
Was sonst noch im Verlauf auftauchte, war nicht interessant, nur die Begriffe »Surfen« und »Siegen« erregten Carls |283| Aufmerksamkeit.
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