Verschwörung beim Heurigen
übereinstimmte. Handfest war sie, ein Mensch ohne Bosheit und ohne Misstrauen, dabei distanzlos,
das war gefährlich, wenn sie unangenehme Wahrheiten aussprach. Haltung und Körperfülle zeigten, dass sie sich durchzusetzen
verstand.
»Mein älterer Sohn ist bei dieser Hitze am besten im Keller aufgehoben. Er bereitet die Lese vor, Anfang September geht’s
los – St. Laurent ist als Erster reif, dann Pinot Noir. Aber damit habe ich kein Glück, das war Marias Rebsorte, mir ist sie
zu zart.«
Die Winzerin machte eine Pause, und Carl sah keine Veranlassung, irgendetwas zu sagen. »Es ist grauenhaft für mich, für uns
alle. Maria ist weg, nur noch als Erinnerung vorhanden. Man heult, danach fassungsloses Achselzucken, später die Gewöhnung.
So ist das mit dem Leben. Sie war viel auf Reisen, wir Frauen treffen uns ja nicht jede Woche, alle haben Familie oder Kinder,
alle haben Sorgen und zu viel Arbeit. Maria hatte ihren alten Vater, der ist gar nicht alt, der wirkt |137| nur so. Sie kennen ihn? Selten, dass wir alle zusammen waren.« Sie starrte geradeaus. »Unvorstellbar, dass sie nicht wiederkommt.
Gestern ertappte ich mich dabei, dass ich sie anrufen wollte, um sie etwas zu fragen.«
Es tat Karola gut, über Maria zu sprechen, und Carl erfuhr auf diese Weise mehr aus ihrem Leben. Konnte es ihn auf die Spur
des Mannes bringen, den er hatte wegrennen sehen?
Am Ortsausgang bogen sie ab und stiegen oberhalb der Weingärten aus, deren Rebzeilen wie mit dem Lineal gezogen von hier über
mehrere hundert Meter hinab zum Schilfgürtel führten. Karola nahm ein Weinblatt in die Hand. »Erkennen Sie die Rebsorte?«
Carl hatte derartige Fragen befürchtet. Für ihn glich eins dem anderen. »Ich bin noch in dem Stadium, in dem mich die diversen
Geschmäcker genug verwirren. Sogar bei derselben Rebsorte, einem Cabernet Sauvignon zum Beispiel, einem aus Frankreich oder
Italien oder Übersee, Australien vielleicht – könnte ich nicht sagen, dass es Cabernet ist.«
»Das ist eine Sache der Erfahrung, und ich weiß nicht, ob es besonders wichtig ist. Viel wichtiger ist doch, ob der Wein in
Ordnung ist.« Sie hielt Carl das Blatt wieder hin. »Welschriesling, das Blatt ist tief gebuchtet, das heißt, die Einschnitte
zwischen den Lappen sind tief, außerdem sind sie scharf gezähnt. Die Trauben«, sie hob vorsichtig eine an, »sind walzenförmig,
manchmal geteilt, die Beeren sind klein, liegen dicht beieinander und haben Punkte. Auch das sieht man mit der Zeit. Ich war
mit meinen Söhnen mal auf Bali. Zuerst dachten wir, die Leute sähen alle gleich aus, erst nach einigen Tagen haben wir die
Unterschiede gesehen.«
Karola holte ein Blatt von der anderen Seite des Weges und kam damit zu Carl zurück. »Pinot blanc, Weißer Burgunder, der sollte
hier nicht stehen, ist auch nicht meiner, der Boden ist ungeeignet. Aber sehen Sie das Blatt? Überhaupt nicht gebuchtet, sieht
aus wie ein gleichseitiges Fünfeck.«
Carl fragte sich, ob jemand, der nicht im Weinberg geboren |138| war, das jemals würde lernen können, Karola sah ihm seine Zweifel an, sie schien ihm mit ihrem durchdringenden Blick überhaupt
vieles anzusehen.
»Keine Sorge. Das sieht man irgendwann. Welschriesling steht hier richtig, er braucht Wärme – die Rebsorte reift spät – dazu
mittelschweren, sandigen Boden und höhere Luftfeuchtigkeit, genau das finden wir am See. Da liegt aber auch die Crux – Feuchtigkeit heißt Mehltau, Oidium und Peronospora. Ob wir Befall bekommen, hängt vom Vorjahr ab, von der Anfälligkeit der
Sorte, dann von der Witterung. Lange Trockenperioden begünstigen die Entwicklung von Pilzen. Licht und Luft mögen sie gar
nicht, deshalb dünnen wir die Blätterwand aus. Dann kommt es darauf an, ob der Nachbar seinen Weingarten pflegt. Pilze verbreiten
sich durch Sporen, vom Winde verweht ist ihre Devise. Ich spritze, und der Nachbar tut es nicht, und schon gibt’s Ärger.«
»Ich habe gehört, Bio-Winzer spritzen nicht.«
»Wir nehmen Kupfer und Schwefel und spritzen manchmal im Abstand von zehn bis zwölf Tagen. Leider haben wir noch nichts Biologisches.
Kupfer ist giftig, ein Schwermetall, es kommt auf die Konzentration an. Auf Schwefel kann man auch nicht völlig verzichten,
es stabilisiert den Wein, damit desinfizieren wir die Fässer von innen. Am wichtigsten ist für mich die konsequente Laubarbeit,
Licht und Luft ranlassen.«
»Und wenn nicht gespritzt
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