Verschwörung beim Heurigen
hatte. Gegenüber lag das Restaurant ›Pauli’s
Stuben‹, da musste er links hinauf, so hatte ihm Karola den Weg zur Kellerei von Rita Hecht beschrieben. Er selbst wohnte
weiter unten, kurz vor der Eisenbahn, die den See begleitete – und wo man, laut Karte des Ungarn, eine Autobahn hatte bauen
wollen.
Wie konnte jemand annehmen, mit einem Mord davonzukommen, welcher Vorteil erwuchs dem Täter aus Marias Tod? Was nutzte es
Herrndorff, ihn als Täter hinzustellen? Wenn man den Verdacht auf die Spitze trieb und Egoismus als alleinige Triebkraft des
Menschen begriff, dann schob dieser Inspektor Carl womöglich vor, um den wirklichen Täter zu decken. Wenn sich mittlerweile
sogar Gewerkschafter in Brasilien verwöhnen ließen, wieso sollte dann die Polizei nicht genauso korrupt sein? Macht korrumpierte
letztendlich jeden! Die Erkenntnis, dass er ein lebendes Beispiel für die Theorie bei sich zu Hause hatte, traf ihn hart.
Weshalb hatte Fechter ihn abgepasst, was waren seine Beweggründe? Neid? Kompetenzgerangel oder Wut darüber, dass man ihm als
Burgenländer jemanden aus Wien vor die Nase gesetzt hatte, der ihm den Fall wegnahm? Und er spann |191| den Faden weiter: Was hatte Maria getan – oder unterlassen, dass nur Mord als letzte Möglichkeit geblieben war?
»Wollen Sie nicht gehen? Grüner wird’s nicht!«
Carl schrak auf, nickte der Frau entschuldigend zu und überquerte die Straße, froh, dem Verkehr entgangen zu sein, und sah
den Friedhof von Purbach vor sich, der ihn auf drastische Art in die Wirklichkeit zurückholte. Er fragte eine Dame nach dem
Weg, und sie antwortete in breitestem rheinischem Dialekt, »dat se dat nit wisse«. Die alten Männer an der nächsten Ecke waren
von hier, aber sie erklärten den Weg so umständlich. Carl fand die Kellerei schließlich trotz dem.
Rita Hecht war in heller Aufregung. Besorgt blickte sie zum Himmel und raufte sich die kurzen Kringellocken, als könne es
gegen Gewitter und Hagel helfen, nahm die Brille ab und rieb sich nervös die Augen. »Ich habe für so was keine Nerven.«
Die Wetterwand hatte sich über den Bergrücken geschoben, das Licht war fahl geworden, beinahe gelb, kein Hauch ging. »Heute
sind Wetterphänomene kaum noch zu begreifen. Wenn es jetzt hagelt, ist alles hin, die gesamte Lese, das zerschlägt uns die
Trauben, die Blätter ... «
Carl hatte bisher lediglich befürchtet, nass zu werden; an die Konsequenzen für die Winzer hatte er nicht gedacht.
»Es kann uns die Arbeit eines Jahres kosten «, stöhnte Rita. Die kleine Frau zappelte vor Nervosität. »Wir sind ruiniert.
Wir hatten bereits im vergangenen Jahr Pech, eine Woche vor der Lese heftiger Regen. Die Trauben haben so vollgesogen, dass
die Beeren geplatzt sind. Und dann die Fäulnis, besonders die dichtbeerigen Sorten wie Sauvignon blanc, St. Laurent und unser
Blaufränkischer sind anfällig dafür. Wegen des Rausschneidens der schlechten Trauben hatten wir die doppelte Arbeit – und
den halben Ertrag.« Wieder sah sie zum Himmel, als schickte sie ein Stoßgebet zu St. Urban, und bekreuzigte sich. Ob der Heilige
des Weinbaus sie erhörte?
|192| Zumindest erschien ihr Mann in der Kellertür. »Schau, die Wolken sind sehr hoch«, sagte er, »bis in die Stratosphäre. Weißt
du, was das bedeutet?«
Carl hatte keine Ahnung, aber Ritas Gesichtsausdruck nach zu urteilen, musste es etwas Fürchterliches sein. »Hagel zerschlägt
uns nicht nur die Trauben, er zerschlägt auch die Laubwand«, erklärte sie. »Was an Trauben übrig bleibt, reift nicht mehr.
Ohne Blätter keine Photosynthese und ohne Photosynthese kein Zucker in den Beeren ... «
» ... und ohne Zucker kein Alkohol«, vervollständigte Carl den Satz.
»Sie wissen ja doch Bescheid. Maria hat gesagt, Sie hätten keine Ahnung.«
»Wozu gibt es Bücher?«, meinte Carl nur.
»Wieso kommt Ihre Frau nicht mit?«, fragte Ritas Mann.
»Sie surft lieber, sie verbringt die Tage am See.«
» ... so wie mein Mann im Weinberg«, sagte Rita. »Ich bin die Kellerkatze, die liegt immer auf dem Fass mit dem besten Wein.
Außerdem habe ich nicht die Nerven, das Gewitter hier oben durchzustehen.« In der Ferne grollte Donner. »Gehen wir in den
Keller!«
Es ging über eine Metalltreppe abwärts. Diese Kellerei war in Bezug auf die Gebäude und ihre Anordnung sehr modern. Die Gewölbe
waren nicht aus fünfhundert Jahre alten Steinen gefügt, sondern aus Schüttbeton. Hier
Weitere Kostenlose Bücher