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Verschwörung beim Heurigen

Titel: Verschwörung beim Heurigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Zeit in England, er fragte sie aus, und Hermine saß dabei – und verstand
     nichts.
    »Könnten wir bitte anfangen?«, nörgelte sie nach einer Weile und schenkte einen Weißburgunder ein. »Der ist von einer guten,
     warmen Lage, von einem mittelschweren Boden.« Damit ging es los. Wie sollte er Lage übersetzen? Er wusste sich mit
terroir
zu helfen. Seine Gesprächspartner lieferten ihm die Worte, die er brauchte, und er sortierte sie |224| unbewusst sofort in seinen Fundus ein. Zuerst ging es schleppend, er konnte nicht geradlinig übersetzen, weil er nachdenken
     und verstehen wollte, was gemeint war. Bei der Farbe des Weins fing es an. War der nun goldgelb oder blassgolden? Er fand,
     dass der Weißburgunder einen leichten Grünton hatte. Dann der Geschmack. Vielleicht hätte er nicht probieren dürfen, denn
     die Meinung des Verkosters teilte er nicht. Birne – da kam er noch mit, aber Haselnuss? Auch Hermine teilte diese Ansicht.
     Für ihn standen eindeutig exotische Früchte im Vordergrund, aber kaum hatte er es ausgesprochen, versuchte er sich an Ananas,
     Passionsfrucht oder Maracuja zu erinnern. Unmöglich, und er hatte schon wieder den letzten Satz des Einkäufers verpasst.
    Dann kam ein Chardonnay an die Reihe, dem fühlte er sich bereits gewachsen. Er wusste, dass bei Weißwein ausschließlich der
     Most vergoren wurde, bei Rotwein waren es die ganzen Beeren. Was er nicht wusste, war, wie die Winzer damit spielten, wie
     lange sie den Wein auf der Maische ließen (
mash
kannte er nur als Bezeichnung für Kartoffelbrei und Mischmasch). Farbe und Tannin, also Gerbsäure, war in den Beerentrauben,
     und je länger der Wein mit den Schalen Kontakt hatte, desto mehr davon ging in den Wein über. Kurze Maischezeit ergab hellen
     Wein, lange Zeit ein dunkles, tiefes Rot, fast ein Schwarz, jedenfalls eine undurchsichtige Färbung. Genau so war Hermines
     St. Laurent. Mit Maria hatte er diese Rebsorte nicht verkostet. Der Gedanke kam blitzschnell hoch, war aber genauso schnell
     wieder weg. Er musste übersetzen. Die Farbe,
ruby red.
Der St. Laurent war dunkler als der Zweigelt (tintenfarben?), mit dem sie die Rotweinrunde eröffnet hatten.
    Nach einer Weile genoss Carl das Gespräch, er hörte sich ein, die Anspannung ließ nach, man zog ihn ins Gespräch, seine Zurückhaltung
     wegen seines mangelhaften Wissens erübrigte sich. Wieder sah er Maria vor sich, im Haydn-Saal. Um sie herum die Pracht, das
     Licht, die Farbe, klirrende |225| Gläser, die vielen Menschen, angeregte Gespräche, ein vom Alkohol enthemmtes Völkchen: Österreicher, Schweizer, Holländer,
     Deutsche, Italiener   – Carl sah die Briten vor sich, ja, so und nicht anders stellte er sich das vereinte Europa vor. Der Umgang mit dem Wein färbte
     auf die Menschen ab, die mit ihm arbeiteten.
    Wie peinlich, er hatte den Faden verloren und musste nachfragen.
    Die Experten erörterten, ob der Wein mehr zur wärmegeprägten Seite tendiere oder stärker gewürzorientiert sei. O Schande.
     Bei den Fruchtaromen meinte der Kleine, dass Trockenobst im Vordergrund stünde, sein Kollege nahm Rote Beeren wahr, Hermine
     hielt sich raus. Sie erläuterte, weshalb sie diese oder jene Entscheidung getroffen hatte, überließ die Bewertung jedoch den
     Kunden. »Das sähe zu sehr nach Beeinflussung aus«, meinte sie nebenbei. Ein Prospekt über Prämierungen und gewonnene Medaillen
     lag auf dem Tisch. Aber den besaßen die Verkoster längst, Hermines Ruf hatte sie hierhergeführt.
    Bekannte Begriffe flogen durch den Raum, doch im Zusammenhang mit Wein konnte Carl mit vielen nichts anfangen. Es war nicht
     leicht, den entsprechenden englischen Ausdruck zu finden: kubanischer Tabak, Röstaromen, Beerenkonfitüre, gegerbtes Leder
     – das ging ja noch, aber betörend vielschichtig, kantiges Tannin, animalische Noten, am Gaumen gut gebaut (?), ausgewogene
     Textur, ein kompakter Ansatz, solide Struktur und schließlich nach der »morbiden Süße« ein »reifes, gebündeltes Finale«. Puh
     – war das alles Blödsinn, oder konnte man sich so weit in den Wein hineinschmecken?
    Irgendwann hörte Carl auf zu übersetzen und sagte, was er empfand, wobei ihm die Verkoster merkwürdigerweise zustimmten. Das
     verblüffte ihn vollends. Den Geschmack erschloss man sich über die Nase, auch das Alkoholische der Rotweine, die meist bei
     13,5 oder 14   Prozent lagen, nahm er |226| über den Duft wahr, obwohl der Alkohol den Geschmack hob oder dämpfte. Ja, er fand,

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