Verschwoerung der Frauen
diesem Augenblick ihre Lesebrille aufsetzte wie ein Theaterrequisit, verblüffte Kate mit ihrer Doppelerscheinung: Zugleich jung und alt, zugleich reif und das impulsive Mädchen, das Anne beschrieben hatte.
Kate horchte in sich hinein, um ihre eigene Stimmung abzuschätzen und bestellte sich einen Wodka-Martini mit Olive: Salz schärft die Sinne. Dorinda wartete nicht ab, bis Kate ihr Anliegen zur Sprache brachte.
»Sie wollen über Gabrielle schreiben. Nun, es ist an der Zeit, daß das jemand tut. Ich warte schon lange darauf, daß man damit aufhört, Emmanuel als der Welt höchste Autorität in Sachen Frauen zu behandeln, und einmal einen genaueren Blick darauf wirft, wie er mit den Frauen in seinem Leben umgegangen ist. Kennen Sie Mark Hansford?«
»Ja«, sagte Kate, nachdem sie für den Bruchteil einer Sekunde mit dem Gedanken gespielt hatte, nicht gerade zu lügen, aber doch die Wahrheit zu überspielen. »Ich kann nicht behaupten, daß er zu 86
den sympathischsten Leuten gehört, die ich in meinem Leben kennengelernt habe.«
»Ich habe mich ihm mehr oder weniger an den Hals geworfen«, sagte Dorinda einfach. »Zu der Zeit wurde mir gerade klar, in welche Sackgasse mein Leben geraten war, und er bedeutete meinen ersten Schritt aus diesem Leben hinaus. Es war eine dumme Geschichte.
Ich brauchte nicht lange, um das zu merken. Zum Schluß überließ ich ihm die Fotos, weil ich das Gefühl hatte, mich damit von meiner Vergangenheit zu lösen. Aber zu dem Zeitpunkt war mir noch nicht klar, daß ich zwei Vergangenheiten habe: die vor meiner Heirat und die danach.
Wenn Sie mit ihm gesprochen haben, hat er Ihnen vielleicht er-zählt, daß seine Frau ein Buch über Gabrielle schreiben wollte. Ich nehme an, sie gab den Plan auf, als Mark an den häuslichen Herd zurückkehrte. Aber ihre Idee war verdammt gut. Wie sind Sie auf die Idee gekommen?«
»Ein Verleger kam darauf«, sagte Kate. »Er bot mir einen Vertrag an, und ich war fasziniert.«
»Und warum beginnen Sie mit mir?«
»Weil Sie hier in New York leben. Aber der Hauptgrund sind Ih-re wundervollen Fotos. Hinter diesen Fotos muß eine Geschichte liegen.«
»Mark sah das nicht so. Ihn interessierten nur die Fotos als solche, mehr nicht.«
»In seinem Buch wird nicht erwähnt, welche Kamera Sie benutzt haben.«
»Eine Leica. Jetzt habe ich eine neue Kamera. Aber die alten mit dem Sucher waren mir immer lieber, besonders für Porträts. Mein Mann hat eins dieser Spiegelreflexdinger, die automatisch Blende und Belichtungszeit einstellen, eigentlich alles automatisch machen, außer dem Bildausschnitt; und sie sind auch ganz brauchbar, wenn man bloß hübsche Landschaften fotografieren will. Ich möchte diese Kameras nicht schlechtmachen, sie interessieren mich einfach nicht.
Vielleicht ist das reine Nostalgie, denn ich bekam meine erste Leica, als ich zwölf war, von deutschen Flüchtlingen, eine M 3. Ich habe sie immer noch. Und Anne hat ihre wohl auch noch.«
Kate sah Dorinda beeindruckt und fragend an.
»Mein Vater kaufte zwei und gab eine davon Anne. Vor einer Weile hatte sie sie noch und sagte, sie würde sich niemals freiwillig von ihr trennen. Wollten Sie wirklich über Kameras sprechen?«
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Kate stand jedoch vor einer viel schwierigeren Frage als dieser: Sollte sie Annes Memoir erwähnen? Simon hatte ihr keine Schwei-gepflicht auferlegt, aber vielleicht ärgerte sich Dorinda über die bloße Tatsache, daß es geschrieben worden war? Sie brauchte nicht überempfindlich zu sein, um das Gefühl zu haben, Anne habe sich ihrer Erfahrungen, ihres Lebens bemächtigt. Wieder überraschte Dorinda Kate.
Das schien, wie Kate bald feststellen sollte, eine Gewohnheit von ihr zu sein.
»Haben Sie den Essay gelesen, den Anne über unsere Kindheit schrieb, oder wurde der an einen anderen Verlag geschickt?«
»Ich habe ihn gelesen. Dieses Memoir war der Hauptgrund, daß der Cheflektor sich entschloß, eine Biographie über Gabrielle in Auftrag zu geben. Aber in gewisser Weise war es ja eher Ihre und Annes Biographie. Welch eine herrliche Kindheit!«
»Finden Sie wirklich?« fragte Dorinda und sah Kate erwartungsvoll an. Sie hatte keine rhetorische Frage gestellt. Dorinda war anders, als Kate erwartet hatte, eine Tatsache, an der sie ihre stille Freude hatte, denn sie mochte Leute, bei denen nicht jede Äußerung vorhersehbar war.
»Nein«, sagte Kate. »Nicht wirklich. Es gilt geradezu als unan-ständig, sich über eine reiche Kindheit zu beschweren,
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