Verschwörung in Florenz
verlassen musste, wenn sie sich nicht direkt auf die Festtafel übergeben wollte. Hatte sie gestern doch mehr getrunken, als sie dachte? Aber ein Kater fühlte sich anders an. Kopfschmerzen gehörten dazu. Und die waren verbunden mit Licht- und Lärmempfindlichkeit, einer rauen Stimme, Appetitlosigkeit. Doch sie hatte keine Kopfschmerzen. Und als sie sich an den Tisch gesetzt hatte, war sie hungrig gewesen. Es musste also etwas mit diesen Fischen zu tun haben und …
»Nun, wie geht es dir, meine Liebe?«, fragte Clarice. Sie war in den Raum getreten, als wäre sie eine Lokomotive, die in einen Bahnhof einläuft. Nichts und niemand hätte diese Frau aufhalten können, selbst wenn Anne lieber ungestört geblieben wäre.
»Gut, danke«, erwiderte Anne. Clarices Gesichtsausdruck verwirrte sie. Sie lächelte zwar freundlich und schien besorgt zu sein, doch da war so eine steile Falte zwischen ihren Augenbrauen, und ihre Nasenflügel blähten sich, als wäre sie wütend. Hatte Anne sie etwa beleidigt? Aber sie konnte doch nichts dafür, dass ihr schlecht geworden war. So etwas geschah bestimmt öfter nach großen Festen, und es wäre wohl kaum in Clarices Sinn gewesen, wenn sie sich vor aller Augen über der festlichen Tafel erbrochen hätte.
»Du solltest dich ausruhen«, sagte Clarice, und in ihrer Stimme schwang unüberhörbar ein scharfer Unterton mit. »Es ist wohl besser, wenn du den Rest des Tages auf deinem Zimmer bleibst und ich dir ein wenig Suppe bringen lasse. Das beruhigt den Magen.«
Anne war so verblüfft, dass ihr jedes Wort der Widerrede im Hals stecken blieb. Das klang, als hätte sie Hausarrest. Dann fiel ihr die Verabredung mit Giovanna de Pazzi ein. Sie musste dorthin.
»Ich würde gern in die Kapelle gehen und beten, wenn du es erlaubst«, sagte Anne und senkte sittsam ihren Blick. Wenn sie wollte, konnte sie eine ganz passable Schauspielerin sein.
Clarice schnaubte. »Na gut«, erwiderte sie schließlich und nickte gnädig, »geh in die Kapelle. Aber wechsle zuerst deine Kleidung. Du hast dich beschmutzt.«
Clarice winkte der jungen Magd und rauschte hinaus. Hastig schlich Anne sich zur Tür, um zu lauschen.
»So eine Schande!«, hörte sie draußen Clarice sagen. Anne spitzte die Ohren, doch das war eigentlich unnötig, denn Clarice gab sich keine Mühe, leise zu sprechen oder ihren Zorn zu verbergen.
»Meint Ihr wirklich, dass die Signorina …«
»Fällt dir eine andere Erklärung für diese plötzliche Unpässlichkeit ein?«, herrschte Clarice die Magd an. »Mir nicht.«
»Vielleicht weiß der Herr Rat, er …«
»Oh, du dummes Ding! Lorenzo mag viel von seinen Geschäften verstehen, aber er ist ein Mann! Er wird sich entweder freuen oder Giuliano voller Zorn zur Rede stellen. Aber das wird unser Problem nicht lösen.« Anne hörte einen tiefen Seufzer. »Nein, wir müssen die Angelegenheit in die Hand nehmen. Noch scheint niemand von ihrem Zustand zu wissen, vermutlich nicht einmal sie selbst. Und so soll es auch bleiben. Vielleicht gelingt es uns, diese … diesen Vorfall geheim zu halten und dieses Weib zu gegebener Zeit aus Florenz fortzuschaffen. Vielleicht.« Clarice schien nachzudenken. »Ich glaube, wir werden sie nach Perugia bringen. Meine Base ist dort Äbtissin in einem Kloster. Sie wird sich um sie kümmern. Und das Wechselbalg kann gleich dort bleiben und von den Nonnen großgezogen werden.«
Anne erstarrte, als ihr die Bedeutung der Worte klar wurde. Glaubte Clarice etwa, dass sie …
»Wenn ich ehrlich bin, so habe ich schon lange damit gerechnet. Es musste ja mal so kommen. Giuliano und seine Liebschaften! Allerdings hatte ich gehofft, dass sich sein Fehltritt in einem passenderen Rahmen vollzieht.« Sie seufzte schwer, als hätte man ihr das Gewicht der Welt auf die Schultern geladen. »Du verlierst kein Wort über diese Sache, oder ich werde dich aus der Stadt jagen. Hast du mich verstanden?«
»Ja, natürlich«, erklang die ängstliche Stimme der jungen Magd.
»Gut. Und jetzt komm, sonst werden Lorenzo und die Gäste noch misstrauisch.«
Anne hörte, wie sich die Schritte der beiden Frauen entfernten. Mit zitternden Knien wankte sie zum Bett und ließ sich darauf niedersinken. Sie konnte einfach nicht fassen, was sie eben gehört hatte. Clarice schien wirklich zu glauben, dass sie schwanger war. Aber das war doch gar nicht möglich. Wie sollte sie denn … Sie rechnete nach, und ihr wurde heiß und kalt zugleich. Tatsächlich, ausgeschlossen war es nicht.
Weitere Kostenlose Bücher