Verschwörung in Florenz
Sie versuchte in sich hineinzuhorchen. War sie wirklich schwanger? Wäre sie in diesem Augenblick zu Hause in Hamburg, hätte sie auf der Stelle die erstbeste Apotheke aufgesucht und einen Schwangerschaftstest gekauft. Doch was sollte sie hier tun? Wie stellten die Frauen im Mittelalter fest, ob sie schwanger waren oder nicht? Anne legte sich auf das Bett. Sie erwartete also – wahrscheinlich, vermutlich, vielleicht – ein Kind. Giulianos Kind! Noch nie hatte sie ernsthaft darüber nachgedacht, ob sie Kinder haben wollte. Ihre Karriere war ihr bisher eigentlich immer zu wichtig gewesen, und außerdem hatte sie noch nicht den richtigen Partner gefunden. Aber jetzt? Sie war selbst überrascht, dass ihr der Gedanke keine Angst machte. Er gefiel ihr sogar. Sie würde ein Kind kriegen. Und dieses Baby … Da kamen ihr Clarices Worte wieder in den Sinn, und sie setzte sich mit einem Ruck auf. Als »Fehltritt« hatte Clarice das Kind bezeichnet, als »Wechselbalg«. Sie wollte ihre Schwangerschaft vor der ganzen Stadt vertuschen und das Kind in ein Kloster stecken. Diese falsche Schlange!
Dann fiel ihr Giovannas Warnung wieder ein. Nicht nur Clarice war jetzt eine Bedrohung, da gab es noch jemanden, der ihr Böses wollte. Jemanden, dessen Namen sie nicht kannte, jemanden, vor dem Giovanna Angst hatte. Sie musste mit Giovanna de Pazzi sprechen. Gerade nach dem, was sie eben gehört hatte, musste sie den Namen jenes Mannes erfahren.
Anne sprang vom Bett und zog sich in Windeseile ein anderes Kleid über. Wenn sie Glück hatte, war das Mittagsmahl noch nicht beendet, und sie würde rechtzeitig in der Kapelle sein, um Giovanna zu treffen.
Anne rutschte ein wenig auf ihrem Platz hin und her. Die schmale Bank war hart und alles andere als bequem. Sie fühlte sich steif. Trotzdem war sie unschlüssig, ob sie gehen sollte. Vielleicht war Giovanna aufgehalten worden, und sie würde kommen, sobald sie die Gelegenheit hatte. Wie lange Anne in der kleinen »bescheidenen« Kapelle des Landhauses der Medici schon saß, konnte sie nicht sagen. Sie hatte jedes Gefühl für die Zeit verloren, vermutlich waren es mehrere Stunden. Trotzdem langweilte sie sich nicht. Sie hatte nachgedacht – gebetet, meditiert, wenn man es so bezeichnen wollte. Sie hatte über Cosimo, Giuliano, die Pazzi-Verschwörung und Giovanna nachgedacht. Und immer wieder hatte sie die schöne geschnitzte Madonna betrachtet, die ihr direkt gegenüberstand und die das Jesuskind so liebevoll in ihren Armen hielt. Dann hatte sie daran gedacht, dass sie vielleicht selbst bald ein Baby im Arm halten würde. Es war so unbegreiflich. Sie konnte es sich beim besten Willen nicht vorstellen. Irgendwann hatte sie dann aufgehört auf Giovanna zu warten und nur noch die Atmosphäre der kleinen Kapelle genossen.
Während sie Stunde um Stunde in der Kapelle gesessen und ihren Gedanken nachgehangen hatte, kamen und gingen die Leute. Gäste der Medici kamen für ein mehr oder weniger kurzes Gebet oder zündeten Kerzen vor der Muttergottes an. Ein junger Priester in vollem Ornat und mit auffällig rotem Gesicht eilte mehrmals durch die Kapelle, kniete jedes Mal vor dem Altar nieder, bekreuzigte sich und eilte dann weiter. Frauen kamen und trugen Leuchter mit Kerzen, weiße Tücher, Tiegel und eine Karaffe, in der sich eine goldgelbe, träge Flüssigkeit befand, hinaus. Ein alter Mann, den Anne am Vorabend beim Stall gesehen hatte, schleppte schwer an einem großen, aus Silber geschmiedeten Tischkreuz. Auch er verschwand fast ebenso schnell, wie er gekommen war.
Mittlerweile war es wieder still geworden, still und dunkel. Schon lange war niemand mehr gekommen, und lediglich das Licht der brennenden Kerzen erhellte noch notdürftig den kleinen Raum. Anne beschloss gerade, wieder zu ihrem Zimmer zu gehen, als sich die Tür der Kapelle abermals öffnete. Sie wandte sich nicht um, doch sie hörte, wie sich ihr Schritte näherten. Und dann ließ sich jemand mit einem aus tiefstem Herzen kommenden Seufzer auf die Kniebank neben ihr nieder. Es war Giuliano.
Er betete eine Weile mit gesenktem Kopf, dann bekreuzigte er sich und setzte sich.
»Ich habe dich schon überall gesucht«, sagte er leise und griff nach Annes Hand. »Eine der Mägde sagte mir eben, ich solle es in der Kapelle versuchen.« Er seufzte wieder. »Ich habe mir Sorgen gemacht, Anne.«
Er sah sie mit einem so gramerfüllten Blick an, dass sich ihr die Kehle zuschnürte.
»Mir geht es gut«, erwiderte sie rasch. »Es
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