Verschwörung in Florenz
Kerzen auf der reich gedeckten Festtafel zu Weihnachten. Verblasst war die Erinnerung an das wundervolle fröhliche Neujahrsfest im Rathaus von Florenz, bei dem sich alle vornehmen Bürger der Stadt getroffen hatten, um einander viel Glück zu wünschen. Verblasst war die Erinnerung an die ausgelassene dreitägige Feier des Karnevals. Seitdem war wieder Fastenzeit – in jeder Hinsicht. Der Himmel war meist grau und wolkenverhangen. Die Tage waren so kühl und feucht, dass sich selbst Hunde und Katzen nur selten auf den Straßen blicken ließen. Manchmal, wenn es besonders kalt wurde, fiel sogar ein wenig Schnee. Florenz sah dann aus wie eine verzauberte Stadt im Schaufenster eines Zuckerbäckers. Doch während noch im Januar die Stadt in solchen Stunden zu neuem Leben erwacht war, Männer und Frauen in warme Mäntel gehüllt durch die Gassen flanierten und Kinder einander lachend und schreiend durch den Schnee jagten und auf zugefrorenen Pfützen um die Wette rutschten, blieb jetzt alles still. Die Straßen waren wie leer gefegt, dass man meinen konnte, eine heimtückische Seuche hätte alle Einwohner von Florenz über Nacht hinweggerafft.
Giuliano hatte in diesen Tagen so viel zu tun, dass er für Anne kaum Zeit fand. Bereits frühmorgens, wenn noch dämmrige Dunkelheit herrschte und oft ein dichter Nebel die Straßen verhüllte, sodass sich die ganze Stadt in die Kulisse eines Horrorfilms verwandelte, verließ er bereits das Haus. Er traf sich dann mit seinem Bruder Lorenzo in ihrem Kontor eine Straße weiter. Dort planten sie gemeinsam ihre Geschäfte für das neue Jahr. Sie legten alle Routen fest, die ihre Abgesandten im Frühjahr bereisen sollten, um neue Handelspartner zu werben. Sie berechneten ihren Bedarf an Waren aus allen Gegenden des Landes, verteilten die Kredite und trieben die Zinsen für das vergangene Jahr ein. Wenn er wieder nach Hause kam, war die Abendtafel bereits abgedeckt, und Giuliano war müde und erschöpft. Oft blieb er auch mehrere Tage hintereinander fort, wenn er nämlich mit Lorenzo über Land fahren musste, um die Verwalter ihrer Ländereien aufzusuchen oder Pächtern ins Gewissen zu reden, die mit ihren Zahlungen im Rückstand waren. Manchmal, wenn er früher nach Hause kam, setzte er sich nach dem Abendessen mit Anne vor den großen Kamin in der Bibliothek. Doch ihre Gespräche verliefen ziemlich einsilbig. Und wenn er nicht bereits in seinem Lehnstuhl einschlief, so ging er meist frühzeitig zu Bett.
Anne seufzte. Anfangs hatte sie die Tage genossen, an denen sie allein war und ungestört in Giulianos Bibliothek nach Hinweisen suchen konnte, die ihr bei den Fragen nach dem geheimnisvollen Elixier weiterzuhelfen vermochten. Doch schon nach kurzer Zeit hatte sie feststellen müssen, dass sie in seinen Büchern keine Antworten finden würde. Er besaß ein paar Werke über Handel, Buchführung und ähnliche Themen, der überwiegende Teil jedoch bestand aus Lyrik, für die Giuliano offensichtlich eine Schwäche hatte. Er musste sie auf seinen zahlreichen Reisen gesammelt haben, denn es fanden sich nicht nur italienische, sondern auch französische, englische und deutsche Gedichtbände darunter. Anne entdeckte sogar ein kleines, schmales, in schmuckloses braunes Leder gebundenes Buch mit Liebeslyrik in einer skandinavischen Sprache – wahrscheinlich Schwedisch. Doch so interessant und amüsant dies alles auch sein mochte, nichts davon half ihr weiter. Die Bibliothek der Stadt, die natürlich sehr viel umfangreicher war, durfte sie nicht aufsuchen – sie war eine Frau. Und dann hatte die Qual begonnen.
Während Giuliano bis zur Erschöpfung arbeitete, war sie sich selbst überlassen – und den Gedanken und Bildern, die sie nicht losließen, die sie bis in den Schlaf verfolgten: Bilder von Giovanna, die aufgebahrt im abgedunkelten Gästezimmer von Lorenzo und Clarice gelegen hatte, bleich, kalt, mit brennenden Kerzen zu ihren Füßen und den gefalteten Händen auf der Brust; Bilder von der Beisetzung, den schwarz gekleideten Trauergästen im überfüllten Dom. Und immer wieder schlich sich der Gedanke ein, dass Giovanna gestorben war, weil sie ihr etwas mitteilen wollte. Zu gern hätte sie einen Blick in das Tagebuch geworfen, von dem Giovanna gesprochen hatte. Sie hatte das Gästezimmer heimlich danach durchsucht, doch ohne Erfolg. Vielleicht hatte Giovanna es gut versteckt. Aber wahrscheinlicher war, dass jener Mann, vor dem sich die arme Frau so gefürchtet hatte, das Buch
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