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Verschwörung in Florenz

Verschwörung in Florenz

Titel: Verschwörung in Florenz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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hob das Kinn, um sich Mut zu machen.
    In diesem Augenblick hielt die Kutsche vor dem Haus der Pazzi. Anne hörte, wie der Kutscher vom Kutschbock sprang und zur Tür lief, um sie zu öffnen.
    »Wir sind da, Signorina«, sagte er und reichte ihr eine Hand, um ihr beim Hinaussteigen behilflich zu sein.
    Anne stieg vorsichtig die wacklige Leiter hinunter und betrachtete das Haus der Pazzi. Es unterschied sich weder in der Größe noch in seiner Bauart wesentlich vom Palazzo der Medici. Zierliche Säulen aus hellem Sandstein rechts und links der Fenster schmückten die ansonsten eher schlichte Fassade des hohen Gebäudes. Anne versuchte herauszufinden, wie das Haus im 21. Jahrhundert aussah und welchen Zweck es hatte. Sie kannte die Straße, in der sie sich gerade befanden. Einige der benachbarten Häuser standen auch noch im Jahre 2003. In einem von ihnen waren jetzt die Büros und Showrooms von Gucci. Aber was war mit dem Haus der Pazzi? War es jetzt ein Archiv oder vielleicht eine Bank? Ein Museum? Ein Geschäft? So sehr sie sich auch den Kopf darüber zerbrach, sie konnte sich nicht daran erinnern, diesen Palazzo jemals gesehen zu haben. Die Ära der Pazzi in Florenz neigte sich ihrem Ende entgegen. Vielleicht war das Haus im Laufe der Jahrhunderte von den nachfolgenden Besitzern bis zur Unkenntlichkeit umgebaut worden – oder es war verfallen, abgerissen und durch ein anderes Gebäude ersetzt worden.
    Ihre Ankunft schien nicht unbemerkt geblieben zu sein, denn kaum hatte Anne einen Schritt auf den Eingang zu getan, als sich auch schon die Tür öffnete und Giacomo de Pazzi, begleitet von einem mageren, bleichen Hausdiener, in der Öffnung erschien, um Anne zu begrüßen.
    »Ich grüße Euch von ganzem Herzen, Signorina Anne!«, rief er und ergriff mit einer Herzlichkeit ihre Hände, die Anne fast schon ein wenig befremdlich vorkam. Für einen kurzen Augenblick schien es sogar, dass er sie auf beide Wangen küssen wollte, diesen Impuls jedoch im letzten Moment unterdrücken konnte. »Es freut mich außerordentlich, dass Eure Zeit es erlaubt hat, unserer Einladung zu folgen, Signorina Anne.«
    »Auch ich grüße Euch, Signor Giacomo«, erwiderte Anne. »Eigentlich ist es an mir, Euch zu danken. Ich habe mich sehr über diese Einladung gefreut.«
    »Nun, wenn Ihr Euch erinnert, so war es versprochen, und …« Er machte eine ausladende Geste. »Doch wo sind nur meine Gedanken? Jetzt stehe ich hier mit Euch und plaudere vor den Türen meines eigenen Hauses, als würden wir uns bei einem Spaziergang über den Ponte Vecchio begegnen, anstatt Euch endlich hereinzubitten. Kommt, Signorina Anne, kommt.«
    Er bot ihr seinen Arm an und geleitete sie die fünf Stufen zur Haustür empor.
    Im Laufe der fünf Monate, die sie mittlerweile im Florenz des ausgehenden 15. Jahrhunderts verbrachte, hatte Anne schon viele Häuser von florentinischen Familien betreten. Es waren meist vornehme Häuser von wohlhabenden Männern, mit großen Eingangshallen, die riesige Gemälde und Wandbehänge schmückten. Schwere Lüster aus Messing oder Silber hingen an den Wänden und Decken, und Möbel aus allen Ländern, die der damaligen Welt bekannt waren, standen herum. In der Halle eines Teehändlers hatte Anne sogar einmal einen kleinen Tisch entdeckt, dessen schwarze Lackarbeiten eindeutig auf seine chinesische Herkunft schließen ließen. Dies alles diente jedoch weder der Ästhetik noch der Behaglichkeit, sondern verfolgte einzig und allein einen Zweck – dem Eintretenden mit dem ersten Blick das Ausmaß des Reichtums der Bewohner zu offenbaren. Am besten gefiel Anne Giulianos Halle. Sie war schlicht ausgestattet und dennoch voller Leben und Fröhlichkeit. Wenn man eintrat, konnte man alle Geräusche des Hauses hören – das Klappern von Pfannen und Töpfen aus der Küche, das Klirren, wenn die Mägde irgendwo in einem der angrenzenden Zimmer die Leuchter putzten, die Stimmen der Dienstboten, die sich bei ihren Arbeiten miteinander unterhielten. Und von zahlreichen Fenstern flutete das Licht herein. Wie anders und ungewöhnlich war da die Eingangshalle der Pazzi. Sie war hoch, düster und überraschend still. Kein Laut war zu hören, als würden die schweren dunklen Wandbehänge, die überall hingen, jedes noch so kleine Geräusch schlucken. Für einen kurzen Moment stockte Anne der Atem. Es war ein Gefühl, als hätte ein Riese auf ihrem Brustkorb Platz genommen und würde ihr nun mit seinem Gewicht auch das letzte Molekül Sauerstoff

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