Verschwörung in Florenz
waren ratlos, und all ihre Mixturen, Elixiere und Salben zeigten keine Wirkung. Dabei haben wir die besten Ärzte aus allen Teilen des Landes um Rat gefragt. Giovanna hatte natürlich auch ihre guten Zeiten; manchmal waren es sogar mehrere Tage, an denen sie beinahe so fröhlich und unbeschwert sein konnte wie früher. Hin und wieder konnten wir sogar die Vorhänge und Fenster öffnen, wir haben gelacht, und zuweilen verließ sie sogar das Haus. Im Laufe der Jahre haben wir gelernt, diese Tage als Geschenk zu betrachten, das wir dankbar aus den Händen des Herrn angenommen haben. Desgleichen betrachteten wir die schlechten Tage als Prüfung, die Gott uns in Seiner unermesslichen Weisheit auferlegt hatte. Nur so, im tiefen Glauben an den Ratschluss unseres Herrn, gelang es uns, Tag für Tag unser Kreuz auf uns zu nehmen.« Er seufzte und senkte den Kopf. »Leider hatten sich die schlechten Zeiten gemehrt. Giovanna zog sich immer häu-figer zurück, versteckte sich im Haus und scheute die Menschen ebenso wie das Sonnenlicht. Oft war sie nicht einmal mehr in der Lage, das Bett zu verlassen. Ihr hättet sie früher sehen sollen, als sie noch ein schönes und unbeschwertes Mädchen war. Ihr hättet sie nicht wiedererkannt. Doch das war, bevor …« Er brach ab.
»Es tut mir aufrichtig Leid«, sagte Anne noch einmal und fragte sich, ob Giovannas Leiden wohl etwas mit Cosimo zu tun hatte. Ob sein Verhalten, dass auch zum Bruch zwischen den beiden Freunden geführt hatte, jede Fröhlichkeit und Lebendigkeit aus diesem Haus vertrieben und es in eine Gruft verwandelt hatte.
»Danke. Doch wir sollten nicht länger darüber reden. Wohl ist es traurig, aber …« Giacomo zuckte mit den Schultern. »Gott, der Herr, hat uns Seine Güte erwiesen und meine Schwester von ihrem Leiden erlöst. Zuvor hat er uns noch Stunden unendlicher Freude geschenkt, denn am Tage vor ihrem Tod war sie so ausgelassen und fröhlich wie schon lange nicht mehr. Das ist ein Grund, um dem Herrn aus tiefstem Herzen zu danken.« Sie schwiegen eine Weile, dann lächelte Giacomo Anne zu. »Setzt Euch, Signorina Anne, nehmt Platz.«
Ein junger Diener, fast ebenso bleich und durchsichtig wie der Hausdiener in der Halle, rückte ihr den Stuhl zurecht. Dabei streifte er mit den Fingern ihr Handgelenk, und Anne zuckte unwillkürlich zusammen. Die Finger des Jungen waren kalt, so kalt, als wäre er schon vor einigen Stunden gestorben.
Anne atmete tief ein, um ihre aufflackernde Nervosität zu bezwingen. Natürlich war das Quatsch. Das Haus der Pazzi war keine Gruft, und die Diener waren so lebendig wie sie selbst. Ihre Fantasie, geprägt durch die ausgiebige Lektüre von Horrorgeschichten, ging mal wieder mit ihr durch. Als Nächstes würde sie sich noch einbilden, spitze Eckzähne aus dem Mund ihres Gastgebers hervorragen zu sehen.
Dennoch ertappte sie sich mehrmals dabei, wie sie sich verstohlen nach einem Spiegel umsah. Das war wohl mehr als verrückt. Was sollte ihr denn ein Spiegel nützen? Es gab keine Vampire oder Geister, höchstens in Büchern, Filmen oder auf der Bühne. Und doch wäre ihr der Anblick eines Spiegels, mochte er auch noch so klein sein, sehr willkommen gewesen. Vielleicht hätte er das dumpfe Unbehagen angesichts der düsteren, bedrückenden Atmosphäre in diesem Haus vertreiben können.
Ein weiterer Diener trat ein. Er trug eine weiße Haube, wie sie bei dem Küchenpersonal üblich war, und eine große dampfende Schüssel, aus der ein angenehmer Duft in die Nase stieg.
»Die Suppe, Signorina«, sagte er mit einer Stimme, die man kaum anders als heiseres Flüstern bezeichnen konnte. Er stellte die Schüssel vor Anne auf den Tisch, hob den Deckel und füllte ihr eine riesige Kelle davon auf den Teller. Dann ging er zur anderen Seite des Tisches und bediente Giacomo.
»Ich wünsche Euch einen guten Appetit, Signorina Anne.« Giacomo nickte ihr mit erhobenem Löffel zu und begann zu essen.
Die Suppe wird dich wärmen, dachte Anne und fröstelte trotz des Kaminfeuers. Sie war bis auf die Knochen durchgefroren, wahrscheinlich durch die Fahrt und die Zugluft in der Halle.
Beherzt tauchte sie ihren Löffel in die heiße Flüssigkeit, in der Erbsen, Möhren, Kohl, Rüben und Stücke schwammen, die tierischen Ursprungs zu sein schienen. Wahrscheinlich waren es Kutteln oder Innereien, die im 21. Jahrhundert höchstens noch für die Zubereitung von Tierfutter Verwendung fanden, im Mittelalter jedoch gewiss auf den Speisezettel gehörten.
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