Verschwörung in Florenz
aus den Lungen pressen.
»Signorina, reicht mir Euren Mantel.«
Die Stimme des schmalen, bleichen Hausdieners klang seltsam hohl, fast unterirdisch, so als wäre dies nicht wirklich ein Haus, sondern eine Gruft und der Hausdiener ihr geisterhafter Wächter. Anne begann zu frösteln.
»Dieses Haus ist schon über hundert Jahre alt«, erklärte Giacomo de Pazzi nicht ohne Stolz. Seine Stimme verklang trotz der Höhe des Raumes ohne Widerhall. Der Baumeister dieses Hauses hatte es offensichtlich geschafft, mit einem Trick das Echo auszuschalten. Oder vielleicht lag es wirklich nur an den Wandbehängen. Anne betrachtete sie genauer und zog schaudernd ihre Schultern zusammen. Sie hatte direkt in das Auge des Zyklopen geblickt, ein grimmiges Auge ohne jeden Funken Mitleid mit den Gefährten des Odysseus, die erschrocken zu seinen Füßen kauerten und entsetzt dabei zusehen mussten, wie der grässliche Riese einen der ihren verspeiste.
»Doch leider ist die Halle stets ein wenig zugig«, fuhr Giacomo fort, als hätte er ihr Schaudern bemerkt. »Man hat damals keinen Kamin in der Halle gehabt, und nachträglich einen einzubauen, hieße, das ganze Haus baulich zu verändern. Folgt mir in das Speisezimmer, dort ist es wärmer und angenehmer.«
Er ging voraus zu einer Tür, die von einem jungen Pagen geöffnet wurde, sobald sie sich ihr näherten.
Der Speisesaal war tatsächlich freundlicher. Die dichten Vorhänge vor den schmalen Fenstern waren zwar zugezogen, sodass sich wirklich kein Sonnenstrahl in diesen Raum verirren konnte, doch zahlreiche Kerzenleuchter an den Wänden und auf den Tischen spendeten Licht, und an der Stirnseite brannte ein wärmendes Feuer im Kamin. An den Wänden hingen etwa ein halbes Dutzend Gemälde, die den Eindruck machten, als wären sie mindestens hundert Jahre alt. Es waren fast ausnahmslos Porträts von ernst auf sie herabblickenden Männern in dunkler Kleidung und Frauen, die in ihren sittsam im Schoß verschränkten Händen einen Strauß Blumen hielten.
In der Mitte des Raumes stand der Tisch. Es war eine lange Tafel, an den Stirnseiten reich gedeckt mit silbernen Leuchtern, feinem Geschirr und leuchtend buntem Porzellan. Anne runzelte bei dem Anblick unwillkürlich die Stirn, und ihr Mund wurde seltsam trocken, so als würde sie sich plötzlich fürchten, hier zu sein. Dabei hatte sie doch eigentlich keinen Grund dazu. Auch wenn nur für zwei gedeckt war.
»Verzeiht, Signor Giacomo, doch ich hatte Euren Brief so verstanden, dass auch Eure Mutter Donna Lucia …«
»Oh, vergebt mir mein Versäumnis, Signorina Anne!«, rief Giacomo aus und legte seine Faust an die Stirn. »Wo sind nur meine Gedanken? Vermutlich ist es die Freude über Euren Besuch, die mich der Klarheit meiner Gedanken beraubt. Nur so ist es zu erklären, dass ich Euch nicht davon in Kenntnis gesetzt habe, noch bevor Ihr die Schwelle dieses Hauses überschritten hattet. Meine Mutter sendet Euch herzliche Grüße. Und sosehr es sie auch betrüben mag, sie bittet sich entschuldigen zu dürfen. Ihr ist heute nicht wohl. Sie hat sich auf ihr Zimmer zurückgezogen.«
»Das tut mir Leid«, erwiderte Anne. Natürlich konnte jeder zu jeder Zeit krank werden. Auch Giacomos Mutter. Sie war schließlich alt und hatte erst vor zwei Monaten ihre Tochter verloren. Doch irgendwo in einem Winkel ihres Gehirns meldete sich eine Stimme, die sie vor allzu großer Sorglosigkeit warnte, immerhin war Giacomo nicht verheiratet. Allerdings klang diese Stimme verdächtig nach Matilda, und das war letztlich ausschlaggebend. Anne beschloss, die Stimme einfach zu ignorieren. »Hoffentlich ist es nichts Ernstes?«
»Nein, nein. Zumindest ist es nichts, was wir nicht kennen«, sagte Giacomo, und Anne kam es vor, als würde ein Schatten über sein Gesicht huschen. »Meine Mutter ist weit über achtzig. Und seit dem Tod meiner Schwester ist sie schwächer geworden. Ich glaube manchmal …« Er brach ab und blinzelte, als wäre er geblendet. »Ich glaube, ihr größter Wunsch wäre es, ihrem Kind zu folgen.«
»Es tut mir Leid«, entgegnete Anne leise und senkte den Blick. »Ich kann gar nicht in Worte fassen, wie sehr es mir Leid tut. Giovanna war noch so jung und …«
»Ja, das war sie«, sagte Giacomo und seufzte. »Sie war noch verhältnismäßig jung. Zumindest zu jung zum Sterben. Und doch traf uns ihr Tod nicht wirklich überraschend. Giovannas Gesundheit war bereits seit vielen Jahren angegriffen – ein rätselhaftes Leiden. Die Ärzte
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