Verschwörung in Florenz
Sie bezwang ihren aufkommenden Ekel, denn unhöflich wollte sie auf gar keinen Fall erscheinen, und stellte überrascht fest, dass die Suppe – woraus auch immer sie bestehen mochte – überaus gut schmeckte.
Die Diener brachten einen Gang nach dem anderen herein, während sie miteinander über Belanglosigkeiten plauderten, was trotz der zehn Meter, die sie voneinander trennten, erstaunlich gut klappte. Als sie schließlich auch das Dessert, eine flache Torte aus Äpfeln, verspeist hatten, tupfte Giacomo sich den Mund ab und erhob sich.
»Lasst uns jetzt in meine Bibliothek gehen«, sagte er zu Anne, trat zu ihr und reichte ihr den Arm. »Dort können wir uns noch ein wenig unterhalten – freilich nur, wenn es Eure Zeit zulässt, verehrte Signorina.«
Giacomo lächelte freundlich. Er war unaufdringlich, höflich und hatte angenehme Umgangsformen. Er war ein perfekter Gastgeber. Doch weshalb lief ihr dann ein kalter Schauer über den Rücken? Weshalb stellten sich ihre Haare auf, als hätte ihr ein Geist seinen eisigen Hauch in den Nacken geblasen? Da war etwas in seinem Gesicht, etwas Seltsames, etwas, das man nur aus nächster Nähe sehen konnte. Eigentlich wäre sie jetzt gern wieder nach Hause gefahren, doch sie wollte Giacomo de Pazzi auf gar keinen Fall verletzen. Also erhob sie sich, lächelte und ergriff den dargebotenen Arm.
»Vielen Dank, es wäre mir eine Freude.«
Giacomo führte sie in die angrenzende Bibliothek. Auch hier waren die Vorhänge zugezogen, und das Tageslicht wurde vom Schein hunderter von Kerzen ersetzt. Sie nahmen auf zwei Stühlen vor dem Kamin Platz, und es entstand eine Pause, in der keiner von ihnen ein Wort sagte. Zum ersten Mal wünschte sich Anne ihre Stickarbeit herbei. So hätten sich ihre Hände wenigstens im Stoff festkrallen können, anstatt vor Nervosität zu zittern. Doch Giacomo merkte anscheinend nichts davon. Er starrte in das Feuer und schien mit seinen Gedanken weit weg zu sein.
Ob er wohl vergessen hat, dass ich da bin?, fragte sich Anne und suchte nach einem Anknüpfungspunkt, um den verlorenen Gesprächsfaden wieder aufzunehmen. So einfach nebeneinander vor dem Kamin zu sitzen und kein Wort zu sagen wie ein seit fünfzig Jahren verheiratetes Paar, galt bestimmt als verworfen. Matilda würde gewiss in Ohnmacht fallen, wenn sie jemals davon erfahren sollte. Andererseits besaß Anne nicht umsonst eine langjährige Berufserfahrung als Journalistin. Da war diese Spannung zwischen ihnen, die man beinahe auf der Haut spüren konnte. Außerdem begann ihre Nase zu jucken. Beides war ein unfehlbares Zeichen. Anne spürte, dass ihr Gespräch eine Wendung nehmen würde, sobald das Schweigen beendet war. Dann würde es nicht mehr um das Wetter und die Langeweile im Winter und die Hoffnung auf ein sonniges Frühjahr gehen. Dann würden sie die wirklich wichtigen Themen besprechen – Giovanna, die Medici, Cosimo. Also lehnte sie sich zurück und wartete ab.
»Hier saß ich manchmal mit Giovanna«, sagte Giacomo. Seine Stimme war leise, als würde er nur mit sich selbst sprechen. Und doch sprach er so akzentuiert und deutlich, dass ihr kein einziges Wort entgehen konnte. Wie aus heiterem Himmel tauchte vor Annes Augen ein Bild auf: Ein Scheinwerfer war direkt auf Giacomo gerichtet, der allein in der Mitte einer dunklen Bühne auf einem schlichten Holzstuhl saß, einen Monolog hielt und dabei nicht zu bemerken schien, dass im Publikum mindestens fünfhundert Gäste saßen und ihm gebannt lauschten. »An den Tagen, an denen es ihr besser ging, kam sie immer herunter und setzte sich zu mir an den Kamin. Wir unterhielten uns. Oder ich las und sie stickte.« Er warf Anne einen kurzen Blick zu. »Sind Euch die Wandbehänge in der Halle aufgefallen, Signorina Anne?« Sie nickte. »Es sind ausnahmslos Werke meiner Schwester. Allerdings …« Er seufzte wieder. »Sie kam in den Wochen vor ihrem Tod nicht mehr oft zu mir an den Kamin. Meist fehlte ihr die Kraft dafür. Es ist ein Jammer. Dabei hatte sie so überaus geschickte Hände.«
»Ja, in der Tat. Die Wandbehänge sind wirklich sehr beeindruckend«, sagte Anne und erschauerte, als sie an den menschenfressenden Zyklopen denken musste. Am liebsten hätte sie die Wandbehänge ihrer Freundin Angie gezeigt. Welche Schlüsse über die Psyche von Giovanna de Pazzi Angie wohl angesichts der Wahl der Motive gezogen hätte? Es wäre bestimmt sehr interessant, das zu erfahren. »Giovanna selbst war auch eine sehr beeindruckende Frau,
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