Verschwörung in Florenz
gelesen hatte. Er erinnerte sich daran, dass er es einmal in einem seiner Tagebücher erwähnt hatte. Vielleicht war ihr dieses Tagebuch in die Hände gefallen, und sie kannte das Versteck daher. Oder er hatte es ihr sogar selbst genannt, an jenem fernen Abend in fünfhundert Jahren, an dem er Signorina Anne zu sich einladen und ihr das Elixier zu trinken geben würde. Es war alles so verrückt, dass ihm bereits der Kopf schwirrte.
Er stieß einen zornigen Schrei aus, als sein rechter Schuh ihm zum wiederholten Mal aus den Händen glitt. Er würde zu spät kommen. Er kam zu spät. Sie hatte das Versteck bereits gefunden. Und gerade in diesem Augenblick, in dem er in seinem Schlafgemach auf einem Schemel saß und mit einem widerborstigen Schuh den Kampf eines Irrsinnigen kämpfte, war sie dabei, die wertvolle Schriftrolle mit ihrer Übersetzung an sich zu nehmen. Möglicherweise verließ sie bereits jetzt, da er darüber nachdachte, mit ihrer Beute das Haus. Und dann? Was würde dann geschehen? Was würde sie mit ihrem Wissen, mit dieser unvorstellbaren Macht, die das Elixier dem Benutzer verlieh – und mit der Gefahr, die damit verbunden war –, anstellen?
Endlich schien der Schuh bereit zu sein, sich an seinen Fuß anzupassen. Und kaum dass er ihn richtig angezogen hatte, sprang Cosimo von dem Schemel hoch, eilte zur Tür und rannte die Treppe hinunter zur Bibliothek.
Anne sah sich aufmerksam in der Bibliothek um. Es war ein imposanter Raum, nicht vergleichbar mit den düsteren, ein wenig langweiligen Bibliotheken der Medici und der Pazzi, die sie bislang gesehen hatte. Sie machte eher den Eindruck einer Bibliothek in einem englischen Herrenhaus. Die Wände waren mit Regalen voll gestellt, die mit hunderten, wenn nicht sogar tausenden von Büchern und Schriften angefüllt waren. Auf dem Boden lagen wunderschöne farbenfrohe Teppiche, deren orientalische Herkunft sich nicht leugnen ließ und die in anderen Häusern wegen ihres materiellen Wertes höchstens als Wandbehänge gedient hätten. Überall standen bequem gepolsterte Sessel, die stilistisch wohl in diesen Raum, jedoch nicht in das 15. Jahrhundert passen wollten und den Eindruck machten, als hätte Cosimo sie von einer Reise in ein anderes Zeitalter mitgebracht. Neben den Sesseln standen kleine Tische aus demselben dunklen Holz, aus dem auch die Regale angefertigt waren. Sie bogen sich und ächzten unter den großen Stapeln von Büchern und den schweren Kerzenleuchtern, deren Gewicht auf ihren zierlichen Beinen lastete. Gemälde gab es keine, dafür boten die Bücher keinen Platz mehr. Doch die Vorhänge waren wunderschön und farblich genau abgestimmt auf die Teppiche. Und im großen Kamin brannte sozusagen wie ein lebendiges Gemälde ein wärmendes Feuer.
Doch Anne hatte leider keine Zeit, sich eingehend über die angenehme Atmosphäre der Bibliothek zu freuen, sich in einen der bequemen Sessel zu setzen, beim Blick in das Feuer zu entspannen und Cosimos Stil und Geschmack zu bewundern und auf sich wirken zu lassen. Sie war hier, um Cosimos Tagebuch zu finden. Sie nahm sich einen der herumstehenden Leuchter und zündete die Kerzen am Feuer an. Sie hatte das Tagebuch unglücklicherweise nie gesehen und wusste daher auch nicht, wie es ausschaute. Außerdem war es nicht sehr wahrscheinlich, dass er es immer noch in der Bibliothek aufbewahrte, nachdem es ihm bereits einmal gestohlen worden war. Doch selbst wenn Cosimo es jetzt an einen sichereren Platz geschafft hatte, so konnte sie trotzdem einiges über ihn und seinen Charakter herausfinden. Ein Freund von ihr behauptete, dass die CD-und Büchersammlung eines Menschen viel über dessen Charakter aussagt. Und das war das Erste, was sie nach ihrem seltsamen Albtraum wissen musste – was für ein Mensch sich hinter dem zynischen, etwas unheimlichen Äußeren wirklich verbarg. Und wem sie letztlich trauen konnte, Giacomo oder Cosimo. Nach CDs konnte sie hier natürlich nicht suchen, aber Bücher gab es dafür mehr als genug. Wenn sie erst einen eingehenden Blick in den Spiegel von Cosimos Seele getan hatte, war immer noch Zeit, sich zu überlegen, wie sie in sein Schlafzimmer eindringen und dort nach dem Tagebuch suchen konnte.
Mit dem Leuchter in der Hand ging Anne die Reihen der Regale entlang und versuchte die Inschriften auf den Buchrücken zu entziffern, wobei sie manche Bücher auch herausnahm. Dabei stellte sie rasch zwei Dinge fest: Erstens war Cosimo ein ordentlicher Mensch. Seine Bibliothek war
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