Verschwörung in Florenz
Erscheinen schon gar nicht mehr zu wundern schienen – stets wurde sie vorgelassen. Meistens hatte Giacomo ihr zuvor einen Boten geschickt und um eine Unterredung gebeten.
Heute jedoch besuchte sie ihn, ohne eine Nachricht erhalten zu haben. Ihr war übel vor Angst um Giuliano. Nicht eine Minute länger hätte sie es ertragen, allein in ihrem Bett zu liegen und über das anscheinend Unvermeidliche nachzugrübeln. Sie brauchte jetzt jemanden, mit dem sie reden konnte, der sie verstand, der wie sie die Wahrheit kannte. Sie brauchte einen Freund.
Allein die Ruhe und die Dunkelheit in der Bibliothek der Pazzi taten bereits nach wenigen Minuten ihre Wirkung. Ihr Herzschlag verlangsamte sich, das nervöse Zittern ihrer Hände hörte auf, und sie konnte wieder richtig durchatmen. Giacomo saß schweigend neben ihr. Wenn er sich darüber ärgerte, dass sie ihn mitten in der Nacht aus dem Schlaf gerissen hatte, so ließ er es sich nicht anmerken. Er bedrängte sie nicht. Er wartete, bis sie ihre Gedanken geordnet hatte. Ein Mensch, bei dem man sich sicher aufgehoben wusste, wenn man ein Problem hatte.
»Ich danke Euch für Eure Freundlichkeit, Signor Giacomo«, sagte Anne. »Es ist wahrlich nicht selbstverständlich, ungebetenen Besuch zu dieser ungewöhnlichen Stunde in sein Haus einzulassen. Aber ich muss mit Euch sprechen. Ich habe heute versucht Giuliano von dem bevorstehenden Attentat zu erzählen und … Nun ja, ich danke Euch von ganzem Herzen, dass Ihr mich empfangen habt. Ich wäre sonst wahrscheinlich verrückt geworden.«
»Ihr solltet mir nicht danken, Signorina Anne«, erwiderte er und schüttelte dabei lächelnd den Kopf. »Ihr wisst, dass Ihr in diesem Hause stets willkommen seid, unabhängig von der Tageszeit. Es tut mir nur Leid, dass ich Euch heute nichts zur Stärkung anbieten kann. Für ein Nachtmahl müsste ich erst die Köchin wecken.« Er hob bedauernd die Schultern. »Ich habe nur noch etwas Gebäck.« Er holte aus einem Schrank einen Teller, auf dem ein paar runde hellbraune Kekse lagen, und reichte ihn ihr. »Nehmt Euch, Signorina Anne. Sie sind wirklich gut. Giovanna hat sie stets gern gegessen.«
Doch Anne winkte ab. Die Erwähnung der armen Giovanna verursachte ihr Übelkeit.
»Vielen Dank, aber ich habe keinen Hunger.«
»Gut«, sagte Giacomo und stellte die Schale auf einen Tisch. »Ich will Euch nicht bedrängen. Solltet Ihr Euch jedoch anders entscheiden, so greift getrost zu. Ihr habt also heute mit Giuliano über den Mordanschlag gesprochen? Und was hat er gesagt?«
Anne lachte auf. »Könnt Ihr es Euch nicht denken? Natürlich nichts anderes als Lorenzo oder Clarice. Ich solle mich nicht aufregen, ich solle an das Kind denken, auf den Arzt hören, mich beruhigen, viel schlafen, warme Milch trinken und so weiter und so weiter. Signor Giacomo, die wollen mir einfach nicht glauben. Die halten mich alle für hysterisch. Dabei weiß ich … wissen wir doch ganz genau …« Tränen traten ihr in die Augen, und sie brach ab.
»Ich kann Eure Aufregung gut verstehen, Signorina Anne«, sagte Giacomo und tätschelte ihr beruhigend die Hand. »Für uns beide, die wir die Wahrheit kennen, die wir Cosimo de Medici durchschauen und von dem Schrecklichen wissen, das er plant, scheint es töricht zu sein, Euren Worten keinen Glauben zu schenken. Aber Ihr müsst auch Giuliano und Lorenzo verstehen. Sie sind Medici. Sie leben nicht einfach wie die anderen Bürger in dieser Stadt, Florenz ist sozusagen ihr Eigentum. Selbstverständlich fühlen sie sich hier sicher. Und keiner von ihnen kann sich vorstellen, dass ein Florentiner ihnen je etwas Schlimmeres antun würde, als ihre Börse um ein paar Dukaten zu erleichtern. Außerdem ist Cosimo ihr Verwandter, ihr eigenes Fleisch und Blut. Der Gedanke, dass ein Mitglied ihrer eigenen Familie zu solch einer Tat fähig wäre, erscheint ihnen derart abwegig, dass sie lieber glauben möchten, Ihr würdet unter jener Hysterie leiden, die zuweilen empfindsame Frauen befällt, die ein Kind erwarten.« Er stieß einen Seufzer aus. »Ich weiß, wie schwer es für Euch sein muss, sich damit abzufinden. Aber ich fürchte, dass Ihr, egal, welche Beweise Ihr vorbringen mögt, im Hause der Medici kein Gehör finden werdet.«
»Ihr hattet mich gewarnt, Signor Giacomo, wisst Ihr noch? Bei unserer letzten Begegnung vor zwei Tagen sagtet Ihr, ich solle Giuliano nichts von dem Anschlag erzählen. Ich würde damit nur das Gegenteil bewirken. Und nun stellt sich heraus,
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