Verschwörung in Florenz
bewundernswert, sicher, doch sie musste dafür sorgen, dass der Artikel pünktlich fertig war. Sie musste sich an den ohnehin schon engen Terminplan halten. Das war ihr Beruf. »Dahinten ist ein Angestellter der Bahn. Den werde ich mal fragen, wann und wie es weitergeht.«
Anne trippelte über den Bahnsteig. Es war so kalt, dass sie sich nicht gewundert hätte, wenn es gleich begonnen hätte zu schneien. Wenigstens kam es ihr so vor.
»Guten Abend!«, rief sie dem Bahnbeamten zu. »Können Sie mir bitte sagen, wann und wie es weitergeht?«
Anne wunderte sich selbst, wie leicht ihr die italienischen Worte über die Lippen kamen. In den vergangenen vier Jahren hatte sie zwar kaum Gelegenheit gehabt, ihre Sprachkenntnisse aufzufrischen, doch Italienisch war wie eine geliebte Melodie. Selbst nach vielen Jahren brauchte man nur die ersten Töne zu hören, und schon fiel einem alles wieder ein.
»Leider streiken die Gleisarbeiter auf den Strecken zwischen Verona, Modena und Bologna«, antwortete der Bahnbeamte höflich, der mit seinen lockigen roten Haaren, dem Vollbart und den hellblauen Augen eigentlich viel besser auf einen Bahnsteig in Schottland oder Irland gepasst hätte als nach Vipiteno. »Wir warten jetzt auf den Zug nach Mailand. Er wird weiterfahren und die Fahrgäste über Pisa nach Florenz bringen.«
Anne schnalzte mit der Zunge. Das war ein erheblicher Umweg.
»Wie lange wird das etwa dauern?«
»Ich schätze, in zwei Stunden wird der Zug in Vipiteno eintreffen. Und wenn sich der Streik nicht ausweitet, werden Sie gegen Mittag in Florenz sein.«
»Können wir wenigstens damit rechnen, dass wir ein unserer Fahrkarte angemessenes Abteil bekommen? Wir haben erste Klasse gebucht.«
Der Italiener schüttelte den Kopf. »Es tut mir wirklich sehr Leid«, antwortete er und sah aus, als wäre ihm die Streiklust seiner Landsleute unangenehm, »doch der Zug nach Mailand ist eigentlich immer ausgebucht. Natürlich werden wir uns nach Kräften bemühen, Sie entsprechend unterzubringen. Aber wir können Ihnen das nicht garantieren. Leider.«
»Na wunderbar«, sagte Anne. Das bedeutete, dass sie nicht nur mindestens fünf Stunden Verspätung haben würden, sondern wahrscheinlich den Rest der Strecke in unbequemen Abteilen – wenn nicht sogar stehend – zurücklegen mussten. »Können wir uns wenigstens irgendwo aufwärmen?«
»Natürlich«, antwortete der Bahnbeamte mit einem freundlichen Lächeln. »In der Wartehalle gibt es Sitzgelegenheiten. Und dort können sie auch einen Kaffee bekommen oder eine Kleinigkeit essen.«
»Siehst du, nur zwei Stunden Aufenthalt in Vipiteno«, sagte Thorsten fröhlich, als sie kurze Zeit später gemeinsam in der Wartehalle saßen und versuchten die Zeit mit einer Zigarette und einer Tasse Kaffee totzuschlagen.
»Na toll. Und dann gondeln wir in einem Bummelzug kreuz und quer durch Italien und können froh sein, wenn wir überhaupt noch irgendwo einen Sitzplatz ergattern«, schimpfte Anne. Sie war nervös. Sie dachte an ihren ersten Termin. Um vierzehn Uhr waren sie bereits mit Salvatore Ferragamo verabredet, neben Gucci einer der diesjährigen Sponsoren des Calcio in Costume. Sie hatte versucht in seinem Büro jemanden zu erreichen, um ihre Verspätung mitzuteilen, doch natürlich arbeitete dort niemand mehr um diese Zeit. Deshalb hatte sie nur eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen können. Gleich am nächsten Morgen würde sie noch mal anrufen, denn sie hasste es, solche Aufgaben zu delegieren. Oft genug hatte sie damit schlechte Erfahrungen gemacht. Und ausgerechnet Ferragamo zu verärgern, dessen Schuhe und Handtaschen die schönsten und reichsten Frauen der Welt trugen, das wollte sie auf gar keinen Fall riskieren.
»Entspann dich, Anne«, empfahl Thorsten und streckte sich so gemütlich aus, als würde er nicht auf einem der harten, unbequemen Stühle der Wartehalle von Vipiteno, sondern bereits im Florentiner Rathaus in einem englischen Clubsessel sitzen, direkt gegenüber dem Bürgermeister, mit einem Glas Chianti in der Hand. »Wir müssen schließlich nicht auf dem Dach mitfahren.«
Anne verzichtete auf eine Entgegnung. Thorsten hätte sie ohnehin nicht verstanden. Er lebte in einer anderen Welt. Dabei brauchte in Florenz nur eine Kleinigkeit dazwischen-zukommen, und der Zeitplan für das ganze Wochenende würde vollständig den Bach runtergehen. Sie strich sich müde das Haar aus dem Gesicht, wärmte ihre Finger an der Plastiktasse und ließ ihren
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