Verschwörung in Florenz
gewechselt, Kaufmanns- und Handwerkerfamilien waren verarmt, andere waren zu Reichtum gekommen. Entscheidungen waren getroffen worden, die das Leben der Menschen verändert hatten, Entscheidungen über Eheschließungen, Verträge, Handelsbeziehungen. Trotzdem war das Gesicht der Stadt im Wesentlichen gleich geblieben. Wie sein eigenes.
Wenn Cosimo morgens in den Spiegel sah, war er immer noch der gleiche junge Mann wie vor dreizehn Jahren. Während ihre Freunde allmählich grau wurden und ihr Haar an Dichte verlor, während ihre Leiber an Umfang zunahmen, ihr Gebiss immer größer werdende Lücken aufwies und tiefe Falten sich in ihre Gesichter zu graben begannen, waren er und Giacomo die gleichen geblieben, die sie vor dreizehn Jahren gewesen waren – wenigstens beim Blick in den Spiegel. In Wahrheit hatte sich für ihn und Giacomo mehr verändert als für ihre Freunde. Jene wurden nur älter, mit allem was dazugehörte: Heirat, Krankheit, Macht und Einfluss, Geburt und Tod. Für ihn und Giacomo hatte sich jedoch alles geändert. Einfach alles.
Cosimo atmete tief ein. Die klare Luft tat ihm gut. Sie kühlte seine erhitzten Wangen, sie besänftigte sogar den Aufruhr, der in ihm tobte. Allmählich wurden seine Gedanken wieder klarer, endlich konnte er überlegen, was das Ganze wohl zu bedeuten hatte. Die Frau, der Brief.
Weshalb war diese Frau im Palazzo seines Vetters Giuliano aufgetaucht? Und wie war sie an diesen Brief gekommen? Denn bei allen Fragen, die er sich stellte – stellen musste angesichts der Lage –, war eines klar: Dieser rätselhafte Brief stammte tatsächlich von ihm. Es war seine Schrift. Seine Wortwahl. Seine Unterschrift. Auch wenn er einen anderen Namen gewählt hatte, auch wenn er sich nicht daran erinnern konnte, diesen Brief jemals geschrieben zu haben. Aber vielleicht lag genau darin die Lösung des Rätsels verborgen.
Seit er und Giacomo das Elixier zum ersten Mal gekostet hatten, hatte sich seine Welt verändert und war verrückt geworden. Seit jenem verhängnisvollen Tag war morgen zu gestern und heute zu übermorgen geworden. Vielleicht würde er den Brief erst schreiben – irgendwann, eines Tages, in einer fernen, ihm noch unbekannten Zukunft. War diese Frau, Signorina Anne, wie sie sich nannte, vielleicht eine Botin aus einer kommenden Zeit? Hatte er selbst sie hergeschickt aus zukünftigen Tagen, um sich eine Botschaft zu übermitteln?
Cosimo erschauerte bei dem Gedanken, und sein Freund Giacomo kam ihm in den Sinn. Giacomo hatte sich schon oft selbst Botschaften in die Vergangenheit gesandt. Botschaften, die ihn in die Lage versetzten, das Heute nach seinem Belieben und zu seinen Gunsten zu verändern. So hatte er zum Beispiel Cosimo im Vertrauen berichtet, wie er sich selbst eines Nachts in seinem Schlafgemach erschienen war und sich den dringenden Rat gegeben hatte, gemeinsam mit dem Leibarzt der Familie Pazzi das etwa einen halben Tagesritt von Florenz entfernte Dorf San Ellero aufzusuchen, in dem einige arme Bauernfamilien dringend den Beistand eines Arztes benötigten. Er hatte keine Gründe genannt, nur gesagt, dass es nicht zu seinem Schaden sein würde. Und Giacomo hatte keinen Augenblick gezögert, seinen eigenen Anweisungen zu folgen. Der Beichtvater der Familie hatte Giacomos Mildtätigkeit sogar von der Kanzel aus gelobt, die ganze Stadt hatte den Wohltäter gepriesen, und eine nicht gerade kleine Schar hatte ihn und den Arzt bis zu den Toren der Stadt begleitet. Als Giacomo am Abend des nächsten Tages wieder in Florenz eingetroffen war, war sein Stiefvater, Giulio de Pazzi, tot. Beim Essen war er von einer Biene im Mund gestochen worden und langsam und qualvoll an den Folgen dieses Missgeschicks erstickt. Der Arzt der Familie war sehr betroffen gewesen, als er von dem tragischen Unfall hörte. Weinend und wehklagend hatte er sich an die Brust geschlagen und das unglückselige Schicksal verwünscht, dass ihn ausgerechnet an diesem Tag aus der Stadt geführt hatte. Er war überzeugt davon, dass er das Leben von Giulio de Pazzi hätte retten können, wenn er rechtzeitig zur Stelle gewesen wäre.
Äußerlich hatte Giacomo Trauer getragen, so wie es sich für einen liebenden Sohn gehörte. Doch im Geheimen, wenn er und Cosimo sich trafen, um sich gegenseitig von ihren Erfahrungen mit dem Elixier zu berichten, hatte er gelacht und frohlockt. Endlich war er von der Tyrannei seines ungeliebten Stiefvaters befreit. Dabei hatte er nichts weiter getan, als dem Willen
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